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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

glaubt es Jamandem bieten zu können. Denn bei aller Genügsamkeit, bei sufriednem Sinne selbst in Dürftigkeit und Mangel, ist er doch lüstern nach fremdem Gute, nicht seiner Landsleute und Stammgenossen, sondern Ausheimischer, insbesondere wenn es seine Blicke und seine Neugierde reizt. Dann ist er sogar diebisch, räuberisch, beutesüchtig, achtet weder des Gesetzes noch der drohenden Strafe; dann kann er sein natürliches Phlegma verläugnen und gewandten Geistes, klug, verschmitzt, listig, verschlagen erscheinen. Stolz auf seine Nationalität, verschmähet er das Ausheimische und isolirt sich gern von allem Fremden und hält am Seinen fest. Er liebt sein Volk und seine Stammgenossen und hasst diejenigen herzlich, die es besiegen, beherrschen und beknechten; er liebt seine Sprache und mag nichts von der wissen, die seine Dränger reden; er liebt seine Sitten, seine vaterländischen Gebräuche, seine angestammte Religion und verachtet die Andrer, nicht selten bis zum Uebermaasse, bis zur Bigotterie, bis zur Intoleranz, bis zum eignen Nachtheile, bis zum Lächerlichen. Selbst die eignen Stammgenossen kann er so mit dem bittersten Hasse verfolgen, mit der grössten Verächtlichkeit behandeln, sind sie einer anderen Kirche, einem andern Staate, einer andern Völkerschaft angehörig oder zugethan: er kann sie unaufhörlich bekämpfen, bekriegen, vernichten wollen. Darum ist der Zwist der Slawen unter sich ein alter, ein eingerosteter, den selbst die Cultur der neuesten Zeit noch nicht hat schlichten können: ein Jammer, der den Bessern unter ihnen nicht entgeht. Wehe dem, von welchem er fürchtet in seiner Nationalität beschränkt zu werden; dem ist er ein geschworner Feind; dem tritt er mit aller Macht entgegen, wenn er nicht offen kann, heimlich und versteckt. Er ist patriotisch, er kann Gut und Blut hinopfern, ist tapfer, unternehmend, kühn, wenn es die Freiheit, das Vaterland, den heimathlichen Heerd gilt. Aber selbst bei diesen edlen Bestrebungen kommt ihm seine Liebe zur Bequemlichkeit und zum Unthätigsein in den Weg: er hält nicht aus, hat nicht dauernde Festigkeit des Willens; sein Enthusiasmus ist gleich dem Strohfeuer. Und thut sich ihm dabei gar die Aussicht auf Gewinn, auf Privatvortheil auf: dann wird er treulos, dann lässt er sich leicht bestechen; dann kann er selbst das Theuerste verrathen: den heimathlichen Heerd, das Vaterland, sein Volk; dann schämt er sich nicht den Freund zu stürzen und preis zu geben, vielleicht selbst mit innerem höhnischen Lächeln. Und jener Stolz, der sich im Nationalen äussert, wie wir oben gesehen, artet bei dem Slawen, bei dem Vornehmen, nicht selten in drückenden Aristokratismus aus, so dass er gegen seine eigenen ihm untergebnen Stammgenossen herrisch, tyrannisch, despotisch, grausam wird, während er gegen Mächtigere und Höhere, als er selbst ist, kommt insonderheit Privatnutzen ins Spiel, demüthig-freundlich, kriechend, selbst hinterlistig und falsch sein kann. Ebenso wenig aber achtet der Niedere es für eine Schande, seinen Obern, sind sie nur von seinem Volke, von seinem Stamme, sklavisch-demüthig zu gehorchen, Alles, selbst das Verächtlichste zu thun, was sie ihm befehlen, sich von ihnen mit Füssen treten, auf das Schimpflichste malträtiren zu lassen. Von Natur mit mancherlei körperlichen und geistigen Fertigkeiten und Talenten ausgerüstet, fasst er leicht eine Sache auf, weiss er schnell das Fremde sich anzueignen, ahmt er mit Geschick das Neue, Kaumgesehene nach, ist er anstellig, gewandt im Selbsterfinden. Aber auch hier tritt ihm nur zu oft seine Liebe zur Trägheit in den Weg und hemmt jeden Aufschwung, jeden Fortschritt, im Materiellen wie im Höhern, Geistigen. Er braucht sein Talent nicht, entwickelt es nicht aus sich selbst heraus, sondern bedarf dabei überall erst einer äussern Anregung durch Beispiel, Noth u. s. w. Dazu gesellt sich noch bei Vielen die Liebe zur Trunkenheit, die Sucht nach geistigen Getränken der niedrigsten Art und lähmt die geistigen wie die körperlichen Kräfte, hindert den Fleiss, das Vorwärtskommen, den Wohlstand, die Kultur, zerrüttet das Gebäude des häuslichen und geselligen Lebens.“

 Aus dieser langen Liste von Eigenschaften den eigentlichen Grundcharakter

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/435&oldid=- (Version vom 14.2.2021)