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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

2. Die böhmische Bühne in Prag.

 Prag, als der Centralpunkt alles geistigen Lebens und Strebens der böhmischen Nation, giebt in jeder Hinsicht den übrigen Städten Böhmens, Mährens und Nordungarns den Ton an. Das ist nun auch in theatralischer Hinsicht der Fall. Von Prag aus verbreiten sich neue Stücke, welche hier gefallen haben, über alle drei Provinzen; von Prag aus gehen selbst einzelne für die Nationalsache begeisterte Künstler in die kleineren Städte und verbreiten die Liebe für böhmische Kunst in weiteren Kreisen. Die Prager Bühne ist somit als die Mutter aller übrigen zu betrachten, von deren Aufblühen grossentheils das Aufblühen der ganzen böhmischen Kunst abhängt. Gerade diese Wichtigkeit, welche die Prager Bühne hat, ist auch Ursache, warum in der neuesten Zeit sich die böhmische Journalistik der Besprechung derselben mit grösserem Eifer zugewandt hat, besonders da auch äussere Veranlassungen hinzutraten, welche die Aufmerksamkeit dem Gegenstande zuzogen.

 Seit Jahren nämlich bestand die böhmische Bühne nur als ein besonderer Theil des Prager ständischen Theaters. In diesem nämlich wurde und wird täglich deutsch gespielt und ein tüchtiges Personale, aus dessen Mitte nicht selten schon die gefeiertsten Künstler hervorgingen, verschaffte demselben Geltung und Ansehen unter den übrigen Bühnen Deutschlands. Seitdem sich nun aber das Bedürfniss eines böhmischen Theaters in Prag immer mehr herausgestellt, seitdem nicht nur die böhmische Literatur zu neuem Leben erwacht, sondern auch das böhmische Volk in socialer Hinsicht sich empor gehoben hatte; war der ständische Ausschuss für das Theater durch einige Freunde des Czechenthums nach vielen Bemühungen endlich dazu bewogen worden, die Erlaubniss zu ertheilen, dass neben dem deutschen Schauspiel an Sonn- und Feiertagen vor der deutschen Vorstellung auch böhmische Stücke zur Aufführung gebracht werden dürfen. Anfangs gab man nur Schauspiele und Lustspiele, später kamen auch ernste dramatische Werke zur Aufführung; die Oper und das Ballet bestehen erst seit einem nicht vollen Jahrzehend.

 Zur Aufführung dieser Stücke wurden anfänglich meist Dilettanten verwendet; erst nach und nach bildeten sich einzelne vom Theater besoldete Künstler aus, welche im Böhmischen aufzutreten im Stande waren. In diesem Zustande besteht die böhmische Schauspielergesellschaft bis zur Stunde; neben den Mitgliedern des ständischen Theaters giebt es noch eine Reihe von anderen Männern und Frauen, welche — nicht eigentlich Schauspieler — doch regelmässig im Böhmischen auftreten. Dieser Umstand bringt eines der grössten Hindernisse für eine glücklichere Entwickelung des Prager Bühnenwesens hervor. Diese Dilettanten-Schauspieler nämlich empfangen keine andere Besoldung als eine oder ein paar Benefizvorstellungen. Der Missbrauch, der mit solchen getrieben wird, die Mittel, welche man hierbei aufbietet, ein zahlreiches Publikum ins Haus heranzuziehen, die Wahl der Stücke, welche dann allerdings mehr auf Effekt berechnet sind als auf inneren Werth: — alles das ist von entschieden ungünstigem Einfluss auf das böhmische Drama selbst. Dennoch aber hat man sogar die Einrichtung getroffen, dass man den Mitgliedern der Schauspielergesellschaft anstatt einer vollständigen Benefizeinnahme zwei solche Vorstellungen giebt, von deren jeder aber die Hälfte des Ertrags der Direction zufällt. Dadurch geschieht es nun freilich, dass die böhmischen Vorstellungen bei weitem zur grössern Hälfte Benefizvorstellungen sind.

 Ein anderes Hinderniss der Entwickelung eines bessern Zustandes für die böhmische Bühne in Prag liegt in der jetzigen Leitung derselben. Durch Zusammentreffen von Umständen, welche wir hier nicht weiter auseinandersetzen mögen, wurde vor Jahren, als der gegenwärtige Director, Herr Stöger, die Prager Bühne auf 12 Jahr in Pacht bekam, der frühere Director derselben, Herr Stiepanek, zum Regisseur der böhmischen Bühne ernannt. Herr Stiepanek hat sehr viele Verdienste um das böhmische Theater; unter seiner Leitung kam die böhmische Bühne zuerst zu Stande; seine originalen Stücke, unter denen einige wirklich

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/45&oldid=- (Version vom 14.9.2022)