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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

vortrefflich, füllten oftmals das Haus; seine Uebersetzungen waren lange Zeit fast ausschliesslich auf dem Repertoir. Allein anderseits kann man auch doch wieder nicht läugnen, dass er gerade durch die Bearbeitung so vieler fremder Schauspiele, an der man besonders in der neuesten Zeit die Eilfertigkeit, ja man möchte fast sagen, das sorglose Hinsudeln nicht verkennen kann, indem er sich nicht nur der ganz gewöhnlichen Umgangssprache, wie sie bei den untersten Classen üblich, ausschliesslich bedient und die besten Schönheiten durch Achtlosigkeit in Plattheiten und mattes Salbadern verwandelt, während man mit Recht fordert, dass selbst im edeleren Lustspiele, sowie im Schau- und Trauerspiele die Sprache einen hohem Schwung nehme und edler und classischer auftrete, als man sie in den Werkstätten und auf dem Markte hört: dass er gerade durch solche Bearbeitungen dem rascheren Aufblühen der böhmischen Dramaturgik keinen Vorschub geleistet hat. Man wirft ihm auch vor, und wie es scheint mit Recht, er lasse durch die Sucht, als Schriftsteller glänzen zu wollen, von der Erfüllung seiner andern oft schwierigen und umfangreichen Pflichten sich abhalten, die ihm als Regisseur sonst noch obliegen; ja man beschuldigt ihn sogar, dass er Niemandes andern Stücke auf die Bühne kommen lassen wolle, damit sein Ruhm nicht geschmälert werde. Wie viel hieran Wahres ist, lässt sich mit Gewissheit nicht ermessen, allein das ist und bleibt gewiss, dass nur selten ein Stück auf der Prager Bühne gegeben wird, das nicht Stiepanek zum Verfasser oder Bearbeiter hätte; und dennoch spricht sich die allgemeine Meinung gegen dieselben aus und die Kritik muss gar manchem anderen Stücke den Vorzug vor den Seinigen geben. In der neuesten Zeit hat sich besonders Tyl durch seine Bearbeitungen auswärtiger Stücke ausgezeichnet; trotz dem findet man sie nur selten auf dem Repertoir, und wenn er nicht im Stande wäre, die Aufführung derselben zu erzwingen, so würden sie wohl noch seltener hinkommen. Will Jemand Anderer ein Stück zur Aufführung bringen, so gelingt ihm das nur nach den grössten Schwierigkeiten, und dann wird es gewiss immer noch lange Zeit hingelegt, ehe es auf den Zettel kommt. Auf diese Weise ist das Repertoir des böhmischen Theaters höchst mangelhaft, und darin liegt der andere Grund, warum dasselbe nur so langsame Fortschritte macht. So lange man der böhmischen Bühne nicht eine kräftige, von allem Egoismus und von Partheisucht möglichst freie, für das wahre Wohl und die geistige Bildung der Nationen begeisterte Leitung giebt; so lange darf man nicht hoffen, dass irgend etwas Grosses und Tüchtiges von ihr geleistet werde.

 Unter den bisherigen Umständen konnten nur während des Winters böhmische Vorstellungen Statt haben, da sie, wie wir oben sagten, vor dem deutschen Schauspiele, nämlich Nachmittags von 4 bis 6 Uhr, gegeben werden mussten. In dem letzt verflossenen Wintersemester nun, das mit den 26. September anfing und mit dem 12. Juli endete, kamen zur Aufführung: Novitäten durch Wahl der Beneficianten: 1 Trauerspiel, 3 Schauspiele, 3 Lustspiele, 4 Possen. Ausser diesen gab die Direction selbst eine Novität, das Lustspiel: „Einfalt vom Lande“; aber von allen diesen 12 Novitäten war kein einziges Originalstück. Die übrigen Stücke waren mehr bekannt, darunter aber auch Sachen, wie Abellino, die Räuber auf Chulm, der Prinz und die Schlange, die zur Lebzeit todten Ehegatten, Hutmacher und Strumpfwirker und dergl. Dazu kamen auch noch 8 verschiedene grössere und kleinere Ballets und Pantomimen. Im Ganzen wurden gegeben: 7 Trauer-, 13 Schau-, 9 Lustspiele und 12 Possen. Originalsachen waren nur 3; von Verfassern kamen vor: der unermüdliche Stiepanek 23 Mal, Kolar 4 Mal, Hybel 2 Mal, Filipek 2 Mal, einige andere zu einem Mal. Aus dieser Uebersicht leuchtet die Wahrheit der von uns oben aufgestellten Behauptungen am deutlichsten hervor.

 Im Verlaufe des vergangenen Sommers nun haben die Hoffnungen der Freunde des czechischen Theaters eine viel grössere Wahrscheinlichkeit gefunden, dass es endlich einmal besser werden dürfte mit demselben. Der dermalige Director und Pächter des ständischen Theaters in Prag, Herr Stöger, hat nämlich auf eigene Kosten ein grosses Gebäude aufgeführt, in welches nun die Aufführung der böhmischen Vorstellungen verlegt werden soll. Es ist ein weites grosses Gebäude mit

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/46&oldid=- (Version vom 12.9.2022)