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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

ist, geschah dies das erstemal, dass der Car mit einem Menschen sprach, dem keine Rangstufe das Recht zu diesem Vorzuge gab. Nicht genug daran, der Kaiser erklärte Puschkin auch, warum er so den Thron bestiegen; er sagte, es scheine ihm, dass Russland[WS 1] ihn nicht dulden wolle, weil es meine, er habe den Grossfürsten Konstantin vom Throne gestossen; er rechtfertigte sich gegen diesen Vorwurf; er lud und munterte Puschkin dringend auf, dass er mehr schreibe und bedauerte sein Stillschweigen. „Wenn Du Dich vor der Censur fürchtest, so werde ich selbst Dein Censor sein“, sprach er zu ihm. Puschkin empfahl sich, tief erschüttert. Er erzählte seinen ausländischen Freunden, denn den Russen wagte er nicht das zu bekennen, dass, wie er den Kaiser gehört, er nicht im Stande gewesen, ihm zu widerstehen. „Ach wie möchte ich ihn hassen, wiederholte er, allein was ist zu thun, warum sollte ich ihn hassen?“ Von diesem Augenblicke an wurde er gewissermassen prosaischer in seinen Gedichten und verspottete den Enthusiasmus, das Philosophenwesen und den Liberalismus. Man schrieb und behauptete, er habe sich der Regierung verkauft; das erfüllte mit Bitterkeit seine Seele; er fing an, das Publikum zu hassen, schleuderte die giftigsten Epigramme gegen Oeffentlichkeit und gegen seine Feinde. Er kam sich vor, wie verlassen und verrathen von seinen Freunden und band mit der ganzen Welt an.

 Allein er und die Oeffentlichkeit hatten ihr Recht. Die Oeffentlichkeit verliess ihn nicht aus Rache oder Zorn, sondern weil sie in ihm nicht ihren Stützpunkt mehr fand. Sie wollte in ihrem Lieblingsdichter den Führer ihrer eigenen Meinung haben; sie sagte zu ihm: „Du versprachst in deinen ersten Dichtungen eine blutige Verschwörung und sie ist erfolgt; du sagtest später voraus die Entzauberung, den Fall unserer heissen Phantasien, des romantischen Schwunges; und alles das ist wahr geworden. Aber was kündest du uns nun an? Was haben wir zu thun, was zu erwarten?“ Puschkin wusste darauf nicht zu antworten, er war selbst in Verzweifelung, und warf ebenfalls die Blicke nach rechts und links und fragte um sich herum; und wohin er blickte, sah er ein völliges Nichts. Alles was im Herzen der civilisirten slawischen Gesellschaft sich vorfand, die politischen Ideen der edlen Jugend, die leidenschaftlichen Träume, die Byron ausgestreut, die Erinnerungen aus den alten Zeiten des Slawenthums: Alles hatte er hervorgezogen und in poetischen Werken der Oeffentlichkeit vor die Augen gestellt; jetzt war es nothwendig, einen Schritt weiter zu thun, und dazu hatte er die Kraft nicht. Das erfüllte mit tiefer Bangigkeit sein Herz, und in allen seinen letzten Arbeiten schlägt die Trauer durch, die sein ganzes Herz umzogen.

 Aus dem Gesagten nun ersehen wir, wie und warum die neue russische Literatur gerade so enden musste. In Wahrheit ist sie mit Puschkin gestorben. Ohne Widerspruch sind noch heut zu Tage in Russland Schriftsteller von Talent und hohem Sinn; aber es möge jeder Russe von gutem Glauben sagen, ob in ihren Schriften etwas sich vorfindet, was neu, was schlagend, was über Puschkin stände. Dieser Mann, gehasst, von den Partheigängern verschiedener Partheien verfolgt, starb und liess ihnen freie Stätte. Wen aber sollen sie nun auf den verödeten Thron setzen? Wollen sie durch Witz ihn beherrschen? Puschkin ist witziger als sie alle. Wenn sie eine Ballade schreiben oder ein Sonett, so hat Puschkin schönere. Wohin sollen sie sich also wenden? Mit den Ideen, die sie haben, können sie auch nicht einen Schritt vorwärts machen; die russische Literatur ist also jetzt auf lange Zeit abgeschlossen. — So weit Mickiewicz; seine Auffassung Puschkin’s ist eigenthümlich und neu; und wenn die Höhe, auf welche er ihn stellt, ihn verleitete, mit seinem Tode den Tod der russischen Literatur unzertrennlich zu verknüpfen: so zeigt das, wie hoch er seinen Freund zu schätzen weiss, wird aber schwerlich den Beifall der russischen Literaten und Literar-Historiker finden. Man vergleiche damit den folgenden Artikel.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Druckfehler. Russlaud in der Vorlage.
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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/62&oldid=- (Version vom 26.9.2022)