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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Zug zeigt sich in seinen Kritiken und besonders in seinen Biographien, welche allemal den Charakter einer tief eindringenden, gedankenvollen Erzählung an sich tragen. Der Fürst Wjazemski vermag es nicht, einfach und schlicht hin ein Ereigniss zu erzählen, einen Gegenstand zu beschreiben, nur seine Aussenseite zu berücksichtigen; bei seiner Erzählung, wie in der Kritik denkt er zugleich, und fühlt darüber. Er bildete bei uns zuerst jenen Styl aus, durch welchen früher Villemain glänzte und durch den sich gegenwärtig in der französischen Literatur Saint Beuve auszeichnet. Durch seine Biographie Vonwisins, die man bisher nur aus Bruchstücken kennt, gab er uns das erste Muster, wie man bei uns die Geschichte der russischen Literatur immer nur im Zusammenhange mit den socialen Leben, das in ihr sich abspiegelt, bearbeiten und darstellen müsse. — Puschkin stellte in seiner Prosa den lebendigsten Widerspruch gegen die Prosa Żukowski’s dar. Der Verfasser der „Madonna“ trug sein poetisches Element in die Prosa über; Puschkin dagegen theilte seine Prosa durch einen sichtbaren Schnitt von seiner Poesie und benahm ihr jeden poetischen Schmuck. Er führte die Sprache Karamzin’s auf die höchste Stufe der Einfachheit, wie man sich dieselbe nur denken kann. Nur der feine Geschmack Puschkins allein und die Erstaunen erregende Kunst, mit welcher er jede Form der Sprache beherrschte, waren im Stande, einen so durchgreifenden Unterschied zwischen seinem Vers und seiner Prosa darzustellen. In seinen Erzählungen stellt er das eigenthümlichste Muster derselben auf; die Prosa Puschkin’s ist ein Mädchen vom Lande, welches freiwillig allen überflüssigen Schmuck von sich wirft und sich in dem einfachsten ländlichen Gewande zeigt, aber auch in diesem noch glänzt durch den ganzen Adel ihrer Wohlgestalt und feinen Erziehung. Das Beispiel Puschkin’s ist natürlicher Weise nicht für Alle und Jeden; die Prosa unseres ersten, unseres Meistersängers konnte nur ihm allein und persönlich angehören. — Die Geschichte der Verschwörung Pugaczew’s ist ein ganz neuer Versuch des historischen Styls; die Geschichte erscheint hier in den nackten Formen einer einfachen Erzählung. Uebrigens ist das nur eine Probe, und das Buch berührt eine Person, bei deren Darstellung der Pinsel Puschkin’s sich nicht entfalten konnte. — Der Erzählungsstyl Puschkin’s fand einen ausgezeichneten Nachahmer in Lermontow, diesem für die russische Literatur so frühzeitig verlorenen Talente. Das Schicksal dieses Dichters war durch eine wunderbare Fügung in vielen Punkten mit dem Geschicke Puschkin’s verknüpft; als wäre es vorher bestimmt gewesen, ward er in den ersten Zeiten seiner Entwickelung der klare und vollständigste Abglanz unseres grossen Genius. Er ist ein Satellit, der augenblicklich mit der Erscheinung des Planeten zugleich auf dem Firmament erglänzte, aber auf demselben Wege und in demselben Gebiete wieder verlosch, weil er nicht im Stande war, selbst eine besondere Welt für sich zu sein. Niemand aus dem ganzen gegenwärtigen Geschlechte war berufen, die Kunst Puschkin’s so in tiefer Seele aufzufassen und sie ganz sich anzueignen, als dieser. Mangel an Ererbung ist aber nicht etwa ein Vorwurf für das originelle Talent Lermontow’s, welcher keinen bessern Lehrer wählen konnte, aber leider nicht Zeit hatte, sich in dem ganzen Glanze seiner Selbstthätigkeit zu zeigen. Die Einfachheit und die Vollendung der äusseren Form in seinen Erzählungen waren von seinem Lehrer auf ihn herabgekommen; ohne Zweifel hätte er in Folge der Zeit auch den Geist desselben ererbt. — Zagoskin stellte in seinen Juri Miloslawski das Muster eines nationellen Styles auf; die Redeweise des russischen Landmanns, wie man sie auf den Strassen und in den Dörfern aus dem Munde desselben hört, zeigte sich in der ganzen Kraft ihres Charakters und trug so bedeutend zu der Richtung bei, welche sich offenbar jetzt in unsrer Sprache zeigt. Die Erzählung Zagoskins ist immer lebendig und gutmüthig heiter, es ist das ein heimisches Zeichen, welches die Leser immer an ihm lieben werden. Die Heiterkeit des Styles, bedeutet sie bei dem Schriftsteller etwas anders, als das Lächeln auf dem Antlitze eines guten Menschen, der in Gesellschaften beliebt ist? — Von Lażecznikow sprachen wir oben; hier wollen wir unsere Gedanken genauer ausdrücken. Er ist einer von den russischen Erzählungsschreibern, welcher, den Fusstapfen Karamzin’s

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/68&oldid=- (Version vom 6.10.2022)