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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Mythenelementen auch nicht orientalische, aber eigenthümliche, eigene Grundideen enthalte. Aber gerade wegen dieser Zusammensetzung und in Folge der Vielheit der slawischen Völkerschaften und der mangelhaften Kunde ihres Alterthumes „scheint die Idee einer allgemeinen slawischen Mythologie nur ein (unerreichbares) Ideal“ zu sein. Erst durch Beiziehung der „reichen litauischen“ und „altpreussischen“ Mythologie kann die slawische genügend vervollständigt und ergänzt werden. Nun geht der Verf. auf die Quellen (geschriebene und ungeschriebene, primäre und sekundäre) für die slawische Mythologie über, und theilt sie von S. 47—71 in einer beispiellosen Vollständigkeit mit. Nachdem dann der gegenwärtige Zustand der slawischen Mythusforschung und das, was hierin zu wünschen bleibe, näher besprochen (warum der Verf. alles Bisherige nicht unter der Rubrik „Einleitung“ oder dergl. zusammengefasst hat, ist uns nicht klar), kommt er endlich S. 85 unter N. zu „dem Versuche einer Wissenschaft des slawischen Mythus.“ Der Verfasser nimmt einen Urmythus an, der sich später in den indischen und persischen spaltete; jener ist nach ihm der den Slawen ureigenthümliche, diesen durchlebten sie bei ihrem Durchzuge durch Persien. Von dieser Hypothese aus sucht der Verf. nun zuerst die mannigfaltigen slawischen Mythenelemente im indischen, dann im persischen Mythus auf. Die Aehnlichkeit in den Götternamen und ihrer Attributen ist eine ausserordentlich grosse, grösser als zwischen irgend einer andern mythologischen Schöpfung. Der „indische Erd- oder Natur-Cultus“ und der „persische Lichtcultus“, beide finden in den slawischen mythischen Gestalten entsprechende Ideen. Auch der persische Dualismus wird als ein altes Element im slawischen Mythus angenommen (wie bei Kollar) und dann besonders auf das überraschende Zusammentreffen der slawischen Mythenfeste mit den persischen hingewiesen. Beide Grundmythen, der indische wie der persische, seien nun im Mythencyclus der Slawen auf das innigste mit und in einander verschmolzen. Diess war dadurch möglich, weil sie gleichen Urmythus (Lichtverehrung) hatten, und weil jeder Mythus auf die Natur sich basirt; doch herrschten im westlichen Slawenlande die persischen, im östlichen die indischen Elemente vor; in den südlichen „scheinen sie“ — „vereint und von mannigfachen fremden Mythen-Elementen durchwebt, den slawischen Mythus constituirt zu haben.“ (S. 212.)

 Indess mit den im indischen und persischen Mythus herrschenden Gestalten ist der slawische Göttercyclus noch nicht abgeschlossen. Er hat noch zwei andere Verwandte, welche beide erst im Verein mit den früheren zweien eine vollständige Auffassung des slawischen Mythus möglich machen. Diess ist der slawisch-preussische und der lithauische Mythus; der Grundcharakter der ersten ist die Götterdreieinheit: 1) Perkun-Brama-Sonnengott, dem ein ewiges Feuer gehalten wurde ; 2) Potrimbo - Wischnu - Radegast. Luft- und Wassergott mit Schlangencultus; 3) Pekello-Ziwa, Gott der Unterwelt, Hölle, mit einer Schnur von Todtenköpfen; 4) die Trimurti, als Einheit jener drei, ist als besonderer Gott weniger ausgebildet, doch scheint es Perkunos gewesen zu sein, während Schwaixtyx der Sonnengott blieb. Der preussische Mythus bildet mit dem lithauischen ein Ganzes, dieser ist aber am vollständigsten erhalten, da Lithauen erst im 15. Jahrh. zum Christenthume bekehrt wurde. Er hat Elemente, „die sich sowohl ihrem Inhalte als der Form nach oft den ausgebildetsten Mythen (ja selbst den griechischen) an die Seite stellen können.“ Durch sein anthropogonisches Element, wo auch die Sündfluth und die Erhaltung und Verbreitung der Menschheit nach ihr angedeutet wird, unterscheidet sich der lithauische Mythus vor allen slawischen. Auch das weibliche Element hat sich in ihm am vollständigsten erhalten, da jeder Gott als Mann und Weib, „Vater“ und „Mutter“ zugleich existirt. Eben so finden sich deutliche Spuren griechischer und selbst ägyptischer Mythen vor.

 Nach diesen vorbereitenden Untersuchungen kommt der Verfasser endlich auf „die eigenthümliche Umformung der slawischen Mythen in Europa.“

 1. Die reine Objectivität der indischen Mythologie nahm erst in Europa die subjectivere Gestaltung an; neben dem reinen Seelenleben ward nun ein Naturleben unterschieden, jenes brachte zur Seelenwanderung, dieses zum Polytheismus der Naturgegenstände. Die Begriffe „Fürst“ und „Priester“ haben im Slawischen einen Namen; vielleicht sind also die Slawen Nachkommen einer indischen Priestercolonie, wie die im Nilthal, die sich nach den Tanais (Wolga) , zum Fasis (Bug) zog (nach Ritter in s. „Vorhalle“ p. 316).

 2. Die Subjectivität als selbstständig gedacht, unterschied ein diesseitiges und ein jenseitiges Leben; daraus ergaben sich diesseitige Götter und jenseitige (unterirdische); die jenseitigen theils auf der Erde, theils ober der Erde (Firmament). Daher also A. oberirdische Götter, a. Das Firmament als Schild des Lichtgottes; b. Perun (Swjatowid) ist der allgemeine Licht-, Sonnen-, Blitz- und Donnergott, und als solcher Bel- und Czernobog. Auch gilt er als Bog, die Gottheit, überhaupt; besonders wo die Swjatowid-Verehrung im Hintergrunde stand, c. Die Gestirne: α. Sonne, Mond und Sterne sind Kinder Gottes, und Geschwister; ß. Morgen- und Abendstern sind die wichtigsten Sterne, die Milchstrasse Seelen von Verstorbenen in Vogelgestalt. Die kleineren Gestirne Endpunkte des Lebens des Menschen, jeder hat einen solchen Stern. Auch der Regenbogen, Sonnenfinsterniss, Wetter, Luft und Wind hatten eigene Gottheiten. B. Die irdischen Götter waren die zahlreichsten und erhielten sich am längsten im Andenken des Volkes; zu den physischen: I. das Symbol des allgemeinen Naturlebens Cica, mater mammosa, die Allernährerin. II. Die einzelnen Elemente der Natur hatten

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/76&oldid=- (Version vom 7.10.2022)