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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

von ihr bewohnten Gebietes bis auf die kleinsten Zwischenräume beschrieben. Dabei sind die eigenthümlichen provinziellen und örtlichen Volksnamen, wie sie sich hier und da erhalten haben, allenthalben angegeben; ebenso die Zahl der einem jeden Stamme Angehörenden überhaupt, sowie in Anbetracht der religiösen Verschiedenheit, genau bestimmt. Und dieses ist der Hauptgegenstand des Buches. Dagegen bilden die grammatischen Unterscheidungsmerkmale der von den einzelnen slawischen Völkern gesprochenen Dialekte, welche der Verfasser bei jedem derselben angiebt, sowie der kurze Ueberblick der Literaturgeschichte, welchen er bei jedem Stamme mittheilt, nach dem Willen Schafarik’s nichts als untergeordnete Beilagen seines Buches. In Hinsicht der statistischen Angaben bemerkt der Verfasser ausdrücklich, „er habe seit vielen Jahren weder Fleiss noch Mühe gespart, um in dieser Hinsicht die grösstmöglichste Gewissheit oder wenigstens Wahrscheinlichkeit zu erringen. Sollten daher seine Bevölkerungszahlen mit den gebräuchlichen, vielleicht für officiell ausgegebenen, nicht überall übereinstimmen, so bittet er den Leser, er möchte die Ursache davon nirgends anders suchen, als wo sie einzig zu suchen sei, nämlich in der Sache selbst, keineswegs aber in seiner Unaufmerksamkeit oder seinem Leichtsinn. Er könne davon (setzt er hinzu), sowie von einigen andern Dingen gar manches Belehrende und Erbauliche erzählen, wenn das anders her gehörte.“

 In der Einleitung theilt der Verfasser die Bewohner der Erde nach ihren einzelnen Stämmen ab und hebt den slawischen, als den ihn vorzüglich interessirenden hervor. Der erste Theil seines Buches bespricht die slawische Sprache, welche in den östlichen und westlichen Zweig abgetheilt wird. Der östliche Zweig (I. Abth.) breitet sich über ganz Russland, einen grossen Theil der Türkei und den südöstlichen Theil Oestreichs aus, und zählt 62,017,000 Köpfe, von denen auf Russland 48,590,000, Oestreich 7,327,000, die Türkei 6,100,000 kommen. Dazu gehört (Cap. 1.) die russische Sprache; sie dehnt sich über Russland und den östlichen Theil Oestreichs aus, und wird von 51,184,000 Menschen gesprochen, von denen 48,410,000 zu Russland, 2,774,000 zu Oestreich gehören. Davon bekennen sich 47,844,000 zur griechischen, 2,990,000 zur griechisch-unirten und 350,000 zur römischen Kirche. Die Sprache theilt sich in 3 Dialekte. a) Das Grossrussische nimmt den grössten Theil des russischen Reiches ein und hat einen wichtigen Unterdialect, den Nowgorodischen. Die Anzahl der Grossrussen beläuft sich mit Einschluss der Nowgoroder auf 35,314,000, ohne diese auf 32,084,000, welche sich sämmtlich zur griechischen Kirche bekennen, aber in Rechtgläubige (prawoslawni) und Altgläubige (raskolniki) unterscheiden. Unter den verschiedenen Mundarten, welche von dieser Menschenmasse gesprochen werden, ist die um Moskwa herrschende als die schönste und in Folge historischer Ereignisse zur Schriftsprache erhoben worden. Neben ihr und der bereits erwähnten Nowgoroder wird auch die Suzdalische und die jenseits der Wolga unterschieden. Die Nowgoroder Mundart wird in dem grössten Theile des Gebietes dieser ehemaligen Republik, und zwar in dem ganzen Pskower und dem grössten Theile des Nowgoroder, Petersburger und Twerer, sowie einem Theile des Smolensker Gouvernements gesprochen. Zu ihr bekennen sich 3,230,000 Anhänger der griechischen Kirche. Die eigenthümliche Literatur dieser Mundart dauerte nur bis zum Fall der Republik in die zweite Hälfte des XV. Jahrhunderts.

 b) Der kleinrussische Dialekt, südlich dem grossrussischen gesprochen, herrscht in den ehemals von den Kosaken bewohnten Gebieten bis zu den Mündungen des Dniepr und Dniester und dehnt sich westlich nach Galizien und über die Karpathen nach Ungarn hinein. Auch die sogenannten russischen oder südöstlichen Provinzen des ehemaligen Polenreichs, die Ukraine, Podolien, Wolynien, sowie das sogenannte Rothrussland (die czerwenischen Städte) sind von Kleinrussen oder Russinen, wie sie auch heissen (auch Rothrussen werden sie genannt), bewohnt; nur ist in diesen Gegenden der Adel und die Städtebewohner polnisch der Abkunft und Sprache nach. Mit Ausschluss dieser zählt man ächte Russinen 13,144,000, von denen 10,370,000 russische und 2,774,000 östreichische Unterthanen (2,149,000 in Galizien und 625,000 in Ungarn) sind. Unter diesen gehören 10,154,000 zur griechischen und 2,990,000 zur unirten Kirche; von letzteren sind 2,774,000 in Oestreich und 216,000 im Königreiche Polen. Der kleinrussische Sprachdialekt im XIV., XV. und XVI. Jahrhundert häufig schriftlich angewandt, sank durch die Herrschaft des Grossrussischen zur blossen Volkssprache herab und wurde erst vor wenigen Jahren als eine eigenthümliche Seltenheit von einigen kleinrussischen Schriftstellern mehr als Spielerei und zu komischen Zwecken wieder als Schriftsprache gebraucht.

 c) Der weissrussische Dialekt, in den ehemaligen polnischen Provinzen Weissrusslands gesprochen, hat noch weniger Gewicht als der kleinrussische, denn im Ganzen giebt es 2,726,000 Weissrussen, von denen 2,376,000 der griechischen und einige 350,000 der römisch-katholischen Kirche zugethan sind. Das Weissrussische theilt sich in zwei Untermundarten, die eigentliche weissrussische und das lithauisch-russische, von denen die erstere im XIV., XV. und XVI. Jahrhundert, die letztere dagegen in der Jetztzeit, freilich nur in lithurgischen und religiösen Schriften für das Volk, angewendet wird.

 2. Die bolgarische Sprache, welche einst in den ganzen Donauländern herrschend war, wird gegenwärtig nur noch von dem Stamme der Bolgaren gesprochen. Schafarik nennt den cyrillischen oder Kirchendialekt auch den Altbolgarischen und giebt somit an dieser Stelle die eigenthümlichen Kennzeichen desselben, sowie den Entwickelungsgang seiner Literatur und der Forschungen

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/83&oldid=- (Version vom 25.11.2022)