Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843).pdf/84

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

in demselben bis auf unsere Tage an. Das eigentliche, oder Neubolgarische, das südlich von der Donau in den Gegenden des alten Mösien, Thracien und Macedonien gesprochen wird, unterscheidet sich in vieler Hinsicht gänzlich von dem Altbolgarischen und es dürfte wohl Niemand im Stande sein (wie Schafarik in seinen „Alterthümern“ sich ausdrückt), in diesem die Ursprache für Jenes wieder zu finden. Schafarik nimmt die Anzahl der Bolgaren in der Türkei zu 3½ Millionen (Ami Boué 4½ Mill.) an; in Russland zählt er 80,000, in Südungarn 7,000, was zusammen 3,587,000 beträgt. Von diesen bekennen sich 3,287,000 zur östlichen und etwa 50,000 in Ungarn und Bolgarien zur römischen Kirche; 250,000 sind zum Mohamedanismus abgefallen, ohne jedoch ihrer angestammten Sprache entsagt zu haben. Für die Literatur kann jetzt, so lange sie unter dem türkischen Joche schmachten, fast gar nichts geschehen; nur diejenigen, welche unter russischem Scepter stehen, haben in unseren Tagen angefangen, einiges für die geistige Hebung ihres Volkes zu thun; Pawlow in Odessa gibt sogar eine kleine Zeitschrift unter dem Titel: „bolgarischer Morgenstern“ heraus.

 3. Der südslawische, oder wie ihn Schafarik nennt, der illyrische Dialekt, herrscht in den westlichen Provinzen der Türkei und den südöstlichen Oestreichs; und zwar hier in Süd-Steyermark, Kärnthen, Krain und dem Küstenlande, im Osten des Königreichs Venedig, in Dalmatien und auf den Inseln, in Südungarn, in Croatien, Slawonien und der diesen drei Ländern anliegenden Militairgrenze; in der Türkei: in Bosnien, der Hercegowina, dem alten Rascien, in Serbien, Czernagora (Montenegro) und in Nord-Albanien. In diesen weiten Gebieten wohnen an 7,246,000 Südslawen, von denen 4,546,000 unter östreichischer, 2,600,000 unter türkischer und 100,000 (das sogenannte neue Serbien in Südrussland) unter russischer Herrschaft stehen. Unter ihnen sind 3,803,000 Katholiken, 2,880,000 griechischen Glaubens, 13,000 Protestanten und 550,000 Mohamedaner. Die Sprache theilt sich in drei Dialekte: 1. Der serbische Dialekt, herrschend in den türkischen Provinzen und dem grössten Theil von Südungarn, in Slawonien, Croatien, Dalmatien, Südkrain und Istrien, hat seit alten Zeiten eine wohlausgebildete Literatur, welche in unseren Tagen durch die glücklichen Verhältnisse Serbiens und durch die aufopfernden Bestrebungen vieler Volksfreunde in Ungarn zu immer grösserem Leben sich entfaltet; die eigentlich sogenannte serbische Literatur unterscheidet sich weniger durch die Eigenthümlichkeit der Sprache, welche mit den übrigen von diesem Volkszweige gesprochenen Dialekten fast ganz gleichlautend ist, als durch die Schrift von diesen; denn die Serben gebrauchen, weil sie zum griechisch-slawischen Glauben sich bekennen, die in den griechisch-slawischen Religionsbüchern gebräuchliche cyrillische Schrift. Eine ganz abweichende Schreibeweise entwickelte sich in den früheren Jahrhunderten in Dalmatien, die glagolitische, die aber nun nicht mehr im Gebrauch ist. Die Serben, als der Hauptstamm der Südslawen, werden auf etwa 5,294,000 Köpfe geschätzt; von diesen wohnen in Ungarn und dem Banat 542,000, in Slawonien und seiner Gränze 738,000, in Croatien und der croatischen Grenze 620,000, in Südkrain 40,000, in Istrien und dem Littorale 254,000, in Dalmatien 391,000, zusammen in Oestreich also 4,546,000; dagegen in Serbien 950,000, in Bosnien, Hercegowina, Rascien und dem Arnautischen 1,552,000, in Czernagora 100,000, zusammen in der Türkei 2,600,000; zu ihnen gehört auch die Colonie Neuserbien in Russland mit 100,000 Köpfen. Der Religion nach sind 2,880,000 griechisch, 1,864,000 römisch, 550,000 mohamedanisch. 2. Der croatische Dialekt, wird in Westungarn, im westlichen Theile von Croatien und auf der croatischen Gränze gesprochen; er unterscheidet sich nur durch geringe Einzelnheiten von dem serbischen und hat erst seit dem XVI. Jahrhundert eine eigene Literatur, welche anfänglich durch die Reformatoren hervorgerufen, später durch die Fürsorge der östreichischen[WS 1] Regierung wieder katholisch wurde. Dieses ist das entscheidende Kennzeichen derselben gegen die Serbische und eine der wichtigsten Ursachen, warum das unter den Croaten erwachte Streben nach Vereinigung aller Südslawen zu einer gemeinsamen Nationalität und Literatur bei den griechisch-slawischen Serben so heftigen Widerstand findet. Die Anzahl der eigentlichen Croaten ist gering, denn sie beläuft sich nur auf etwa 801,000 Köpfe, aber sie sind alle eines Glaubens, katholisch, und streben nach einem gemeinschaftlichen Ziele und das gibt ihnen Gewicht. 3. Der kärnthnische Dialekt, gesprochen in Kärnthen und Krain, in Südsteiermark, im Küstengebiet, in Friaul und in dem westlichen Strich von Ungarn; auch er hat einige kleine Abweichungen von den beiden vorigen Dialekten, sowie er sich durch die unglücklichen Zeitverhältnisse[WS 2], welche die Südslawen in viele Theile zerrissen, eine abgesonderte Literatur herausgebildet hat. Sie war zur Zeit nach der Reformation in grosser Blüthe und eine Masse von Büchern erschien, weil jeder Kreis seine besondere Mundart und Schreibeweise beibehielt, welche dem benachbarten wieder fremd war. In der Neuzeit haben sich bereits einzelne Stimmen auch in diesen Gegenden kund gegeben, welche ein vollständiges Anschliessen an die illirische Gesammtliteratur fordern. Die Völkerschaften dieser Zunge nennen sich fast durchgängig Slowencen, was denn auch von uns fernerhin zur Bezeichnung ihrer Gesammtheit angenommen werden soll. Ihre Anzahl beläuft sich gegenwärtig auf 1,151,000 K., davon in Steiermark 378,000, in Kärnthen 84,000, in Krain 398,000, im Küstengebiete 217,000, in Friaul 22,000 und in Ungarn 52,000. Auch sie sind, wie wir früher sagten, durchgängig Katholiken, nur einige 13,000 Protestanten haben in Westungarn eine Zufluchtsstätte gefunden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Druckfehler. östreiceischen in der Vorlage.
  2. Druckfehler. Zeitversältnisse in der Vorlage.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/84&oldid=- (Version vom 26.11.2022)