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Gottes in der Kirche zu erhalten. Daher ist ihre Einheit nur eine unächte Einheit, eine Einheit des Todes. Indem die protestantische Kirche das Leben durch andere als die von Gott angeordneten Mittel zu persönlichen und selbstsüchtigen Zwecken und, so zu sagen, mit gänzlicher Beseitigung der Kirchenverfassung Gottes beizubehalten suchte, ist es ihr zwar gelungen, dieses Leben zu erhalten, aber nur um es in Trennung und Spaltung wirken zu lassen. Die eine Kirche hat die Einheit auf Kosten des Lebens erkauft, die andere hat das Leben verwirkt, indem sie die Kirche als Leib des HErrn verachtete, ohne welchen das Leben unter dem Namen von Geistlichkeit nur ein mystischer Traum ist. ... Indem so das Papsttum die Mittel dem Zwecke vorzieht, und der Protestantismus den Zweck ohne die Mittel sucht, vermögen beide nicht, die wahren Zeugen Gottes zu sein. Beide gehen darauf aus, den Fall und die Zerrüttung der Getauften zugleich herbeizuführen und darzustellen.“

 So urteilen die irvingianischen Apostel über die ganze kirchengeschichtliche Vergangenheit ab. Ihre Kritik enthält unläugbar manche bittere Wahrheit; aber welche Ungerechtigkeit und welche Anmaßung ist es doch, so über die ganze Vergangenheit der Kirche den Stab zu brechen, über das Papsttum wie über den Protestantismus das gleiche Verdammungsurteil zu sprechen, die lutherische Kirche mit allen protestantischen Secten in einen Topf zu werfen und nur die eigene (irvingianische) Gemeinschaft als die rechtmäßige Fortsetzung der apostolischen Kirche und die Wideranknüpfung der seit 1800 Jahren abgerissenen Fäden einer wahrhaft gottgefälligen Kirchenentwicklung auszugeben!

 Nach diesen Proben können wir uns nicht wundern, wenn das Urteil der Irvingianer über das Gotteswerk der Reformation ein sehr abfälliges ist. „Die protestantischen Reformatoren – so lesen wir in dem Testimonium – gelangten, selbst im Anfange, nicht zur Einheit unter sich; sie erbauten nicht eine Kirche aus dem Abfall, sondern fügten zu dem vorgefundenen Babel noch viele Secten hinzu. Seit der Reformation sieht man gar keine äußere Einheit mehr, sondern eine Masse sich widerstrebender Secten, wovon jede der andern widerspricht und deren einziger Anspruch auf Einigkeit darauf beruht, daß sie die heilige Schrift als Glaubensregel anerkennen, dabei aber beweisen, wie unhaltbar dieser Anspruch auf Einigkeit ist, indem sie alle ihre eigenthümlichen und oft sich widersprechenden Glaubenspunkte auf die Schrift stützen wollen.“

 Noch viel rückhaltsloser spricht sich der schon erwähnte Herold das Irvingianismus in Deutschland, Ch. Böhm, aus. In seiner Schrift: „Die Kirche Christi in ihrem Verhältnisse zu den Staaten“ lesen wir Behauptungen, wie diese: „Die Reformatoren konnten von Anfang an keinen göttlichen Auftrag, die Kirche zu reformiren, aufweisen, welcher über den eines jeden Christen, Priesters oder Bischofs hinausgieng.“ „Die Reformatoren ließen sich mit Luther fortreißen zum Ungehorsam gegen die von Gott ihnen vorgesetzten kirchlichen Oberen“ und gaben so „das Beispiel des Ungehorsams und der Verletzung göttlicher Ordnung.“ „Den Reformatoren fehlte die wahrhaft ausreichende göttliche Vollmacht, die Sendung