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lehren.“ Lauter Anweisungen, aus denen die Fürsorge des Apostels für die Fortpflanzung des Ältesten oder Hirtenamts hervorleuchtet – und dennoch, bei all dieser treuen Sorgfalt für die Erhaltung und Fortpflanzung des Amtes auf die Nachkommen, keine Spur einer Andeutung, daß auch die Fortdauer des Apostolats Gottes Wille sei. Haben die Apostel gewußt, daß nach Gottes Rat ihnen Nachfolger im Apostelamt bestimmt waren, und haben sie diese ihre Wissenschaft, von der doch die ganze gedeihliche Entwicklung der Kirche abhieng, ihren Gemeinden und selbst ihren vertrautesten Schülern vorenthalten? Dies ist doch eine unmögliche Annahme, vgl. Ap.-Gesch. 20, v. 20 u. 27. So bleibt nichts übrig, als anzunehmen, daß die Apostel diesen Rat Gottes selbst nicht kannten und also in einem für die Wohlfahrt der Kirche so wesentlichen Punkt sich gründlich geirrt haben. Sind die Apostel aber einmal und zwar in einer solchen Hauptsache der Täuschung und dem Irrtum unterlegen, wer bürgt uns für ihre Irrtumslosigkeit in den übrigen Dingen, die unser Heil und unsre Seligkeit betreffen? Dürfen wir dann ihrem Wort unbedingten Glauben schenken? Ist dann nicht der Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer übrigen Lehre berechtigt? Ist aber dem Zweifel einmal Einlaß gegeben, was bleibt dann noch sicher und gewiß? Muß da nicht unser ganzes Vertrauen in die Wahrheit der Apostellehre auf’s tiefste erschüttert und der Boden unter unsern Füßen wankend werden?

 Das sind die höchst bedenklichen, ja seelengefährlichen Folgen, die aus der irvingianischen Lehre vom Apostolat entspringen können. Wer diesen Haupt- und Grundirrtum des Irvingianismus einmal durchschaut und erkannt hat, wird – so vieles ihn auch sonst beim Irvingianismus anziehen und bestechen mag – von der Versuchung, sich ihm anzuschließen, geheilt sein.

 Es erübrigt uns nun, noch ein Wort über das Verhältnis des Irvingianismus zur luth. Kirche und Kirchenlehre zu sagen.

 Hören wir zunächst, wie der Irvingianismus über die seit dem Tode der Apostel eingetretene (nach seiner Ansicht verfehlte) geschichtliche Entwicklung der Kirche urteilt.

 Das schon erwähnte Testimonium der irvingianischen Apostel faßt nach einer sehr herben und einschneidenden Kritik der innerhalb der katholischen und der protestantischen „Abtheilung der Christenheit“ vor sich gegangenen Entwicklung sein Urtheil über den Katholicismus und Protestantismus dahin zusammen:

 „Die römisch-katholische Kirche hat die Einheit der Kirche zu erhalten gestrebt in ihren Formen, ihrer Verfassung und ihrer Lehre. ... Ihr Zeugnis ist des gesammten Leibes Zeugnis von der Einheit der Kirche. Der Protestantismus bietet die Geschichte des Strebens der Kirche dar, das Leben aus Gott zu erhalten, das ihr im Anfange anvertraut ward. Sein Zeugnis ist des gesammten Leibes Zeugnis vom Leben aus Gott. Aber die Sünde der römisch-katholischen Kirche, wodurch ihr Zeugnis aufhört, wahr zu sein, ist die, daß sie, indem sie die Einheit zu bewahren suchte, wenig oder keine Rücksicht darauf nahm, auch das Leben