Seite:Jugendleben und Wanderbilder II 086.png

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Hospitäler mit ihrer trefflichen Einrichtung den redendsten Beweis ab.

Der Reichthum der Großen ist hier wie in England unermeßlich, nur wissen ihn die Wiener auf eine andere, ich möchte fast sagen menschlichere Weise zu genießen, als jene Engländer, die Alles, was nicht zu ihnen gehört, wie gar nicht existirend betrachten. Aber wodurch Wien vor allen Residenzen sich auszeichnet, das ist die überall hervorleuchtende Wohlthätigkeit der mittleren Stände. Bettler ausgenommen, deren es viele hier giebt, und deren elendes Gewerbe hier gewiß sehr einträglich ist, bin ich in ganz Wien fast keinem einzigen wirklich schlecht bekleideten Menschen begegnet, keinem, dem Noth und Sorge auf dem Gesichte zu lesen war. Es giebt schwerlich in der ganzen Stadt nebst den Vorstädten eine Bürgersfrau, die nicht ihren Schmuck hätte, und bestände er auch nur aus einem Paar altmodischer Ohrringe mit Diamanten, einiger Schnüren echter Perlen oder einer schweren Halskette von Gold, der man es ansieht, daß sie ein Erbstück von der seligen Großmutter ist. Geschmack und gesuchte Eleganz in der Kleidung ist ihre Sache nicht; in der Form erscheint diese oft weit hinter der herrschenden Mode zurückgeblieben; recht helle, grell gegen einander abstechende

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Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder. Band 2. Georg Westermann, Braunschweig 1839, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jugendleben_und_Wanderbilder_II_086.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)