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wollte. Es war nichts Seltenes, Geistliche selbst auf ihren Berufswegen trunken zu sehen; etliche brachen in diesem Zustande den Hals. Der Umgang mit liederlichen Dirnen ward ohne Scheu öffentlich getrieben. Bei allen Domkirchen damaliger Zeit war ein Nebengebäude errichtet, in welchem diejenigen Geistlichen übernachteten, denen die Frühmetten oblagen. Es war eine Einrichtung aus frommer alter Zeit; die Geistlichen sollten der Gefahr entnommen werden, ihren heiligen Dienst zu verschlafen; es sollte aber auch durch den einsamen stillen Aufenthalt im Schlafhause eine nüchterne feierliche Stimmung in ihnen hervorgerufen werden. Aber gerade diese Nächte wurden auf das Wildeste durchschwärmt. Buhldirnen, Wein, Würfel, sogar Musik wurde herbei geholt, um den Domgeistlichen die lange Nacht zu verkürzen. Aus diesem Taumel wankten sie dann in das Gotteshaus, warfen die Meßgewänder über und sangen mit unsicherer Stimme die Frühmetten. Es kam sogar der Fall vor, daß ein Vicar im tollen Uebermuth der Trunkenheit seine Buhlerin mit dem heiligen Gewande bekleidete und durch sie die Messe lesen ließ. – Es kann nicht überraschen, wenn eine solche Verderbtheit auch nach anderen Seiten hin sich kund that. Geistliche stahlen, brachen in Häuser ein, nothzüchtigten unbeschützte Frauen und scheuten den Mord nicht. Es gab für sie keine Strafe. Nur ein unmittelbar gegen die Person ihres Vorgesetzten gerichtetes Vergehen konnte ernsthafte Folgen haben. Ein Domdechant, also im Range der dritte Würdenträger der ganzen Kirche, stahl dem Erzbischof Geld vom Tische. Er mußte fliehen und wurde für einen Schelm erklärt.

Doch genug von diesen Dingen. Wir würden kein Ende finden, wenn wir wiedergeben sollten, welche Entartungen in Bremen, Stade und vor allen in den Klöstern der Provinz angetroffen wurden. Letztere konnte man vielleicht mit Recht die Pestbeulen des Landes nennen.

So tief bedauerlich diese Entsittlichung eines ganzen Standes war, so machte sie doch der Reformation den Sieg leicht. Es würde ihr unter anderen Umständen schwer geworden sein, Eingang zu finden. Die Unkunde des Volks in geistlichen Fragen war zu groß und seine äußere Bildung

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Köster: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden. Stade: In Commision bei A. Pockwitz, 1856, Seite 096. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:K%C3%B6ster_Alterth%C3%BCmer_096.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)