Seite:Köster Alterthümer 113.png

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wußte nicht was er nun zu thun hatte. Bangigkeit kroch über sein Herz, all sein hoher Muth lief ihm wie Wasser durch die Finger. Die Ueberraschung in den Mienen der Leute betrachtete er als Zorn und Drohung. Voll Angst sprang er von seiner Bank und lief mit eilenden Schritten aus der Kirche. Alle etwaigen Erfolge seiner Rede machte diese schmähliche Flucht zu nichte. Als wären die Feinde ihm auf den Fersen, so eilte er aus der Stadt und erst in dem tiefen Sande vor dem Norderthore fand er seine Besinnung wieder.

In der Stadt Verden verbreitete sich die Kunde von dem Wagnisse des fremden Mönchs in einem Augenblick. Dem Prediger Dingschlag war schon früher einmal während einer Rede öffentlich zugerufen worden, daß er ein Dieb und Ehebrecher wäre, und diese Störung des Gottesdienstes war damals straflos geblieben. Daß aber Jemand Luther’s Ketzereien in einem katholischen Dome vortragen wollte, das konnte nimmermehr ungeahndet bleiben. Bischof und Domkapitel traten in ernste Berathung. Wo war der Ketzer, der Störenfried, der entartete Mönch, das Teufelskind? Er war entflohen. Ganz richtig muthmaßten die hohen Herren, daß eine Verfolgung den Flüchtling schwerlich in ihre Gewalt bringen würde; es war rathsamer, scheinbar gar keine Maßregeln zu seiner Habhaftwerdung zu treffen; er werde von selbst schon wieder kommen.

Ihre Berechnung erwies sich als richtig. Als Bruder Johann einige Stunden hinter einem Sandhügel gelegen und über seinen kühnen Schritt nachgedacht hatte, ergriff ihn allmählig Reue und Beschämung, daß er auf so unwürdige Weise sein Werk beschlossen hatte. Er kehrte in die Stadt zurück. Niemand achtete seiner. Ein Mönchsgewand war damals eine sehr gewöhnliche Erscheinung. Langsam ging er zum Dom. Jetzt wußte er, was er wollte. Es war zu spät. Die Kirche war offen, aber leer. Er ging durch dieselbe, unschlüssig, was er für den Augenblick beginnen wollte. Aber die Feinde lauerten auf ihn. Vor der Choralei, der jetzigen Küsterwohnung, faßten ihn die Diener des Domkapitels. Er ward auf das neue Thor gesetzt, ein Gefangener.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Köster: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden. Stade: In Commision bei A. Pockwitz, 1856, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:K%C3%B6ster_Alterth%C3%BCmer_113.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)