Seite:Köster Alterthümer 127.png

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schnell und feurig wurde er ausgeführt. In den Melodien war man nicht wählerisch, man sah auf ihre Volksmäßigkeit und Singbarkeit, aber durchaus nicht auf ihren Ursprung; die noch jetzt gebräuchliche Melodie von „O Welt, ich muß dich lassen,“ war ihrem Ursprunge nach ein Handwerksburschenlied, welches lautete „Inspruck, ich muß dich lassen etc.“ Wir wollen die Kirchenlieder absichtlich nicht nennen, deren Melodie „in Herzog Ernsten Ton“ oder „im schwarzbraun Mägdelein Ton“ gesungen wird; manchen könnten die Gesänge dadurch verleidet werden. Man legte den Melodien kirchliche Worte unter und sang sie mit einer Andacht, deren Ernst und Innigkeit uns wunderbar erscheinen würde. Aber man muß bedenken, die protestantische Kirche war damals eine streitende, auf Tod und Leben ringende Kirche, jedes ihrer Lieder war gleichsam ein Schlachtgesang, der rasch und mit Feuer aus dem Herzen kam. Der langsame Gang des jetzigen Chorals wäre einer Zeit wenig angemessen gewesen, welche das Psalmbuch in der Tasche und das Schwert an der Seite hatte, welche eben so bereit war, den Glaubensfeind leiblich niederzuschlagen, als ihn geistig zu besiegen. Es war ein unglaublicher Trotz in den Menschen jener Zeit; sie suchten keine Größe im Dulden und würden die moderne Theorie des passiven Widerstandes verlacht haben. Sie übten Gewalt oder litten Gewalt, sie waren Sieger oder Besiegte, Herrscher oder Verbannte – ein Drittes gab es für sie nicht. Solch’ eine Zeit kann in ihren kirchlichen Gesängen kein langsames, sanftes, hinschmelzendes Wesen ertragen. Mit Recht klagte der Bischof von Köln, daß Ein lutherischer Psalm der katholischen Kirche mehr Schaden thäte, als hundert lutherische Prediger. Man kann sich die Wirkung eines Gesanges durch ein Beispiel neuerer Zeit versinnlichen, wenn man an die Marseiller Hymne in dem Anfange der französischen Revolution denkt, von der auch staunenswerthe Erfolge erzählt werden. In neueren Zeiten hat man es versucht, den alten Kirchenton des streitenden Lutherthums in seinem raschen Gange durch den sogenannten rhythmischen Gesang wieder aufzunehmen; es klingt ja auch recht schön, aber unwillkührlich wird man dabei an das Wort des alten

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Köster: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden. Stade: In Commision bei A. Pockwitz, 1856, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:K%C3%B6ster_Alterth%C3%BCmer_127.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)