Seite:Köster Alterthümer 189.png

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Am heiligen Abend nun, vor dem Feste der Nacht (Luk. 2, 8), da der Heiland geboren wurde (der geweiheten oder Weih-Nacht), ist es im protestantischen Deutschland uralte Sitte, im Kreise der Familie einen Tannenbaum aufzupflanzen, von brennenden Wachslichtern reich erleuchtet, und mit Kindergeschenken bunt geschmückt. Die biblische Deutung dieses Gebrauchs liegt nahe. Denn die vielen Lichter in den dunkelsten Tagen des Mittewinters drücken die Freude aus darüber, daß Christus ist das Licht, welches in die Welt kommend alle Menschen erleuchtet (Joh. 1, 9), und einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben hat (2 Kor. 4, 6); wie ja schon im Alten Bunde geweissagt war: die Völker, bisher im Finstern sitzend, sollten ein großes Licht sehen (Jesai. 9, 2. 60, 1). So tritt es uns sinnlich vor Augen, wie der himmlische Vater uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsterniß und tüchtig gemacht zum Erbtheile der Heiligen im Lichte (Koloss. 1, 12). In manchen Städten zündet man den Baum erst am Morgen des ersten Festtages nach der Frühpredigt an; und auch das hat seine Beziehung. Christus wird ja in der Schrift genannt der (Sonnen-) Aufgang aus der Höhe (Luk. 1, 78), und das Evangelium der Morgenstern, der in unseren Herzen aufgehen soll (2 Petri 1, 19). Daneben bedeutet der im Winter wie im Sommer grünende Tannenbaum das unverwelkliche Erbe der Frommen (1 Petr. 1, 3–4), den unvergänglichen Kranz des christlichen Kämpfers (1 Kor. 9, 25), und die bleibenden Gnadengaben des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung (1 Kor. 13, 13).

Die Fülle von süßen, bunten und glänzenden Gaben an dem Weihnachtsbaume könnte eine Nachahmung sein jener Geschenke von Gold, Weihrauch und Myrrhen, welche die Weisen aus Morgenland dem Jesus-Kinde darbrachten (Math. 2, 11); aber richtiger werden wir sie beziehen auf den Reichthum, welchen uns der Heiland mitgetheilt, indem er um unsertwillen arm wurde (2 Kor. 8, 9), an den mancherlei geistlichen Segen in himmlischen Gütern, den uns Gott durch Ihn geschenkt hat (Ephes. 1, 3), insbesondere an die theuern und großen

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Köster: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden. Stade: In Commision bei A. Pockwitz, 1856, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:K%C3%B6ster_Alterth%C3%BCmer_189.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)