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Bei des Leibes argen Schmerzen,
Ohne daß das Kind geboren,

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Daß zum Vorschein es gekommen.

     Fing da leise an zu weinen,
Redet Worte solcher Weise:
„Weh mir armen ob des Schicksals,
Wehe mir ob meines Wanderns!
Wohin jetzo ich gerathen,
Daß ich aus der Luft gekommen,
Daß der Sturmwind mich hier wiege,
Daß die Welle mit mir spiele
Auf den weiten Wasserstrecken,

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Auf den ausgedehnten Fluthen.“

     „Besser wäre es gewesen,
Wär’ ich Jungfrau in den Lüften,
Als in diesen fremden Räumen
Wassermutter jetzt zu werden.
Frostvoll ist mir hier das Leben,
Mühvoll ist hier die Bewegung,
In den Wogen so zu weilen,
In dem Wasser so zu wandern.“
     „Ukko, du, o Gott dort oben,

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Du des ganzen Himmels Träger!

Komm herbei, du bist vonnöthen,
Komm herbei, du wirst gerufen,
Lös’ das Mädchen von den Qualen
Von den Wehen du die Jungfrau,
Komm’ geschwind und eile schneller,
Schneller, wo man dich ersehnet!“
     Wenig Zeit war hingegangen,
Kaum ein Augenblick verflossen,
Sieh, herbei eilt eine Ente,

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Fliegt herbei der schöne Vogel,

Suchet sich zum Nest ein Plätzchen,
Suchet eine Wohnungsstelle.
     Flog nach Osten, flog nach Westen,
Flog nach Norden und nach Süden,
Kann kein solches Plätzchen finden,
Nicht die allerschlechtste Stelle,
Wo ihr Nest sie machen könnte,
Eine Stätte sich bereiten.
     Flieget langsam, schauet um sich,

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Dachte nach und überlegte:

„Baue ich mein Haus im Winde,
Auf den Fluthen meine Wohnung,
Würd’ der Wind das Haus zerstören,
Weit die Wogen es entführen.“
     Da erhob des Meeres Mutter,
Sie, der Lüfte schöne Tochter
Aus dem Meere ihre Kniee,
Aus der Fluth die Schulterblätter,
Wo die Ent’ ein Nest sich bauen,

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Wo sie friedlich weilen könnte.

     Entlein nun der schöne Vogel
Flieget langsam, schauet um sich,
Sieht das Knie der Wassermutter
Auf dem blauen Meeresrücken,
Hielt’s für einen Wiesenhügel,
Meint’es wäre frischer Rasen.
     Hin nun fliegt sie, schwebet langsam,
Läßt sich auf das Knie dann nieder;
Bauet dort ihr Nestlein fertig,

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Legt hinein die goldnen Eier,

Goldner Eier ganze sechse,
Siebentens ein Ei von Eisen.
     Setzt sich brütend auf die Eier,
Wärmte rasch des Kniees Wölbung;
Brütet einen Tag, den zweiten,
Brütet auch am dritten Tage;
Schon bemerkt die Wassermutter,
Sie, der Lüfte schöne Tochter,
Merket, daß es heißer wurde,

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Daß die Haut erwärmet wurde:

Meinte, daß die Knie ihr brennen,
Alle Adern ihr zerschmelzen.
     Hastig rührt sie ihre Kniee,
Schüttelt heftig ihre Glieder,
Daß die Eier in das Wasser,
In die Fluth des Meeres stürzen;
In der Fluth in Stücke brechen
Und in Splitter sich zerschlagen.
     Nicht verkommen sie im Schlamme,

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Nicht die Stücke in dem Wasser,

Sondern werden schön verwandelt,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_003.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)