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Jagte noch am dritten Tage;
Endlich an dem dritten Tage
Hält er auf Wäinölä’s Fluren,
Auf den Flächen Kalewala’s.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft,
Er, der ew’ge Zaubersprecher,
War gerade auf dem Wege,
Fuhr gar ruhig seine Straße
Auf den Fluren von Wäinölä,

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Auf den Flächen Kalewala’s.

     Joukahainen jung und stürmisch
Kam ihm auf dem Weg entgegen,
Deichsel haftet an der Deichsel,
Riemen reibet sich am Riemen,
Kummet klappert an dem Kummet,
Krummholz an des Krummholz Kante.
     Blieben beide darauf stehen,
Blieben stehn und überlegten,
Wasser tropfte von dem Krummholz,

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Von der Deichsel stiegen Dünste.

     Fragt’ der alte Wäinämöinen:
„Woher bist du denn von Hause,
Der so dumm drauf losgefahren,
Unbeholfen mir begegnest,
Hast das Kummet mir zerschlagen
Und zerbrochen mir das Krummholz,
Meinen Schlitten mir beschädigt
Und zersplittert seine Leisten?“
     Sprach der junge Joukahainen

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Selber Worte solcher Weise:

„Bin der junge Joukahainen,
Aber sage lieber selber,
Woher bist denn du von Hause
Und aus welcher schlechten Sippe?“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Ließ sich also nun vernehmen,
Redet Worte solcher Weise:
„Bist du, Jüngling, Joukahainen,
Nun so weich mir aus dem Wege,

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Jünger bist du ja an Jahren.“

     Doch der junge Joukahainen
Redet Worte solcher Weise:
„Minder gilt hier Mannes Jugend,
Mannes Jugend, Mannes Alter;
Wer an Wissen höher stehet,
Wer an Weisheit mehr umfasset,
Der nur mag die Bahn behalten
Und der and’re mag ihm weichen;
Bist du, Alter, Wäinämöinen,

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Du der ew’ge Zaubersprecher,

Nun so wollen wir an’s Singen,
An die Lieder wir uns machen,
Daß der Mann vom Mann was höre,
Einer mit dem andern streite.“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
„Werde wohl nicht viel vermögen,
Nicht gar viel zu singen wissen,
Habe ja mein liebes Leben

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Nur gelebt in ödem Lande,

Höchstens in der Heimath Fluren,
Nur den Kuckuck dort vernommen;
Doch dem sei nun wie ihm wolle,
Sage du mein goldnes Knäbchen,
Was denn weißt du mehr als andre,
Worin geht dein Wissen weiter?“
     Sprach der junge Joukahainen:
„Weiß gar wohl so manche Dinge,
Dieses weiß ich voller Klarheit,

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Seh’ ich ein mit großer Klugheit:

In dem Dache ist das Rauchloch,
Und der Herd steht an dem Ofen.“
     „Lustig ist der Robbe Leben,
Herrlich sind des Seehund’s Tage,
Frißt die Lachse, die ihm nahen,
Schlingt die nachbarlichen Schnäpel.“
     „Schnäpel haben flache Felder,
Und die Lachse ebne Stätten;
Hechte laichen in der Kälte

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In den wilden Winterstürmen;

Bange schwimmt der Barsch zur Herbstzeit
Krummen Nackens in den Tiefen,
Sommers laichet er im Trocknen,
Raschelt dann am Meeresufer.“

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_012.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)