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Sich zu gutem Mittagsmahle,
Sich zur Abendkost ein Stückchen.
Fing den Lachs an zu zerschneiden,
Will den Bauch des Fisches spalten,
Hurtig schlüpft der Lachs ins Wasser,
Springt ins Meer das bunte Fischlein
Aus des braunen Bootes Boden,
Aus dem Nachen Wäinämöinens.
     Hob den Kopf dann aus den Wellen,

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Hob hervor die rechte Schulter

Mit dem fünften Stoß des Windes,
Bei dem sechsten Netzgestelle,
Reicht hervor der Hände rechte,
Läßt der Füße linken blicken
Auf der siebenten der Flächen,
Auf der neunten Wogenwölbung.
     Sprach dann selber diese Worte,
Ließ sich selber so vernehmen:
„O du alter Wäinämöinen!

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Nimmer bin ich hergekommen

Als ein Lachs recht zum Zerschneiden,
Als ein Fischlein zum Zerstückeln,
Dir zu einem Morgenbissen,
Dir zur Speise in der Frühe,
Dir zu gutem Mittagsmahle,
Dir zur Abendkost, o Alter.“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Weshalb bist du denn gekommen?“
     „Deshalb war ich hergekommen,

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Dir im Arm zu ruhn als Hühnchen,

Stets zur Seite dir zu sitzen,
Dir als Gattin für dein Leben,
Dir das Lager zu bereiten,
Dir das Kissen hinzulegen,
Dir die Wohnung rein zu halten,
Auszukehren dort den Boden,
Feuer in die Stub’ zu bringen,
Dort die Flamme anzufachen,
Dir zu backen dicke Bröte,

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Honigbrot dir zu bereiten,

Dir den Krug voll Bier zu bringen,
Vorzusetzen dir die Speise.“
     „War ja nicht ein Lachs des Meeres,
Nicht ein Barsch aus Fluthentiefen;
Bin ein muntres, junges Mädchen,
Joukahainen’s junge Schwester,
Die du lange hast gewünschet
Und dein Lebenlang geliebet.“
     „O du alter Thor voll Dummheit,

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Wäinämöinen ohne Einsicht,

Nicht verstandst du festzuhalten
Mich, Wellamo’s Wellenjungfrau,
Mich, der Fluthen einz’ge Tochter!“
     Sprach der alte Wäinämöinen
Schiefen Hauptes, schlechter Laune:
„Bist du Joukahainen’s Schwester,
O so komme, bitt’ ich, wieder.“
     Nimmer kommt sie nochmals wieder,
Nimmer während dieses Lebens,

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Tauchte hastig in die Fluthen,

Von des Meeres Oberfläche
In die buntgestreiften Steine,
In die leberfarbnen Spalten.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Überlegte nun und dachte,
Wie zu sein und wie zu leben;
Zog voll Fleiß das feine Netzlein
Kreuz und quer durch das Gewässer,
Durch die Buchten, durch die Engen,

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Zieht es durch das stille Wasser,

Zieht es durch des Lachses Klippen,
Durch die Fluthen von Wäinölä,
Durch die Klippen Kalewala’s,
Durch die dunkelfarbnen Tiefen,
Durch den großen Meeresrücken,
Durch die Flüsse von Joukola,
Durch der Lappen Buchtenstrecken.
     Fing gar viel von andern Fischen,
Fast von allen Meeresfischen,

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Fing nur nicht das liebe Fischlein,

Das er stets im Sinne hatte,
Nicht Wellamo’s Wogenjungfrau,
Nicht der Fluthen einz’ge Tochter.
     War der alte Wäinämöinen

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_026.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)