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Zehnte Rune.


     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Nimmt sein Roß mit brauner Farbe,
Schirrt den Hengst nun gar behende,
Spannt den braunen vor den Schlitten,
Setzt sich selber in den Schlitten
Und erhebt sich auf dem Sitze.
     Schlug das Roß mit seiner Gerte,
Ließ die perlenreiche tönen,
Rasch enteilt das Roß des Weges,

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Machte, daß der Weg entschwindet,

Heftig lärmt des Schlittens Kufe
Und es knarrt das trockne Krummholz.
     Rauschend jagte er von dannen
Über Sümpfe, über Felder,
Über flachgebahnte Fluren,
Reiste einen Tag, den zweiten,
Endlich an dem dritten Tage
Kam er an die lange Brücke
Auf die Fluren Kalewala’s,

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An den Rand des Osmofeldes.

     Sprach dort Worte solcher Weise,
Ließ sich selber so vernehmen:
„Friß, o Wolf, den Träumegucker,
Tödt, o Krankheit, jenen Lappen!
Sagte, daß ich nicht nach Hause
Nie so lang’ ich seh’ gelange,
Nimmermehr in diesem Leben,
Nie, solang das Mondlicht leuchtet,
Auf die Fluren von Wäinölä,

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Auf die Flächen Kalewala’s.“

     Fing der alte Wäinämöinen
Darauf kundig an zu singen,
Sang da eine schöne Fichte
Mit der Kron’ und goldnen Zweigen
Bis zum Himmel reicht der Wipfel,
Ragt gerade ins Gewölke,
In die Lüfte gehn die Zweige,
Dehnen sich bis an den Himmel.
     Singet ferner zauberkundig,

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Singet einen Mond zum Leuchten

In der Fichte goldnen Wipfel,
Singt den Bären in die Zweige.
     Jagte lärmend drauf von dannen,
Grade nach der goldnen Heimath,
Schiefen Hauptes, trüben Sinnes,
Schief geschoben seine Mütze,
Da den Schmieder Ilmarinen,
Ihn, den ew’gen Schmiedekünstler,
Er als Lösung hat versprochen,

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Um sein eigen Haupt zu retten,

Nach dem nimmerhellen Nordland,
Nach dem düstern Sariola.
     Als sein Roß er angehalten
An dem neuen Felde Osmo’s,
Hob der alte Wäinämöinen
Rasch sich aus dem bunten Schlitten;
Aus der Schmiede hört man Klopfen,
In dem Kohlenhause hämmern.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft

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Gehet selber nach der Schmiede,

Findet dort Schmied Ilmarinen,
Der gar unverdrossen hämmert,
Sprach der Schmieder Ilmarinen:
„O du alter Wäinämöinen,
Wo hast du so lang’ gestecket,
Bist so lange du gewesen?“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
„Dort hab’ ich so lang’ gestecket,

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Meine ganze Zeit verlebet,

In dem nimmerhellen Nordland,
In dem düstern Sariola,
Mich im Lappenland befunden,
Bei den Männern voller Zauber.“
     Sprach der Schmieder Ilmarinen,
Redet Worte solcher Weise:
„O du alter Wäinämöinen,
Einzig ew’ger Zaubersprecher,
Was erzählst du von der Reise,

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Von der Fahrt zum Heimathlande?“
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_047.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)