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Zu dem großen Stamme Saari’s,
Zu dem weitbegränzten Hause:
„Lachen werden dort die Mädchen,
Dort die Weiber dich verspotten.“
     Wenig achtet’s Lemminkäinen,
Redet selber diese Worte:
„Werd’ der Weiber Lachen hemmen,
Werd’ der Mädchen Kichern dämpfen,
Schlag’ mit Füßen an den Busen,

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Schlage nach dem Arm des Säuglings,

Das beendigt wohl das Schmähen,
Ist ein guter Schluß des Spottens.“
     Solche Worte sprach die Mutter:
„Weh mir Armen um mein Leben!
Sollten Saari’s Weiber lachen,
Sollten es die keuschen Jungfraun,
Wird ein großer Streit entstehen,
Wird ein arger Kampf erwachsen,
Werden alle Saarifreier,

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Hundert Mann mit ihren Schwertern

Auf dein Haupt, o Armer, stürzen,
Auf den einen alle fallen.“
     Nicht beachtet Lemminkäinen
Seiner lieben Mutter Warnung,
Nahm sein Roß, das gutgebaute,
Schirrte rasch sein edles Füllen,
Jagte rauschend dann von dannen
Nach dem großen Saaridorfe,
Um die Saariblum’ zu freien,

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Um ein Bräutchen hochgepriesen.

     Es verlachten ihn die Weiber,
Schmähten ihn die Mädchen weidlich,
Als er seltsam in die Gasse,
Seltsam auf den Hof gefahren,
Seinen Schlitten umgeworfen,
Hastig an die Pfort’ geschleudert.
     Zog der muntre Lemminkäinen
Schief den Mund und schiefen Hauptes
Schüttelt er die schwarzen Haare,

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Redet selber diese Worte:

„Hab’ dergleichen nie gesehen,
Nie gesehen noch gehöret,
Daß die Weiber mich verlachen,
Nie der Mädchen Spott erlitten.“
     Wenig achtet’s Lemminkäinen,
Redet selber diese Worte:
„Giebt’s wohl Platz hieselbst auf Saari,
Land auf Saari’s weiten Flächen,
Daß ich hieselbst munter spiele,

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Giebt es Platz zu einer Scheune

Zu der Freud’ der Saarijungfraun,
Zu dem Tanz der Zopfgeschmückten?“
     Sprachen da die Saarijungfraun,
Gaben Antwort an der Landzung’:
„Platz genug ist hier auf Saari,
Land genug auf Saari’s Flächen,
Dir ein Raum zu muntern Spielen,
Platz ist da für eine Scheune,
Kannst ein Hirt am Schwendenlande,

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Daselbst Hirtenknabe werden;

Mager sind die Kinder Saari’s,
Fett genug der Pferde Füllen.“
     Wenig achtet’s Lemminkäinen,
Trat in Dienst als Hirtenknabe,
War bei Tage auf der Weide,
Nachts beim Jubel muntrer Mädchen,
Bei den Spielen dieser Jungfraun,
Bei dem Tanz der Zopfgeschmückten.
     Lemminkäinen voller Frohsinn,

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Selbst der schöne Kaukomieli,

Hatte bald der Weiber Lachen,
Bald gedämpft den Spott der Mädchen,
Gab dort keine einz’ge Tochter,
Keins der noch so keuschen Mädchen,
Die er nicht alsbald umfaßte
Und an ihrer Seite weilte.
     Unter allen gab’s nur eine
In dem großen Stamme Saari’s,
Die sich nichts aus Freiern machte,

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Nicht den Männern Gunst ertheilte:

Kyllikki, die schöne Jungfrau,
Saari’s allerschönste Blume.
     Lemminkäinen voller Frohsinn,
Selbst der schöne Kaukomieli

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_055.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)