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Nach des Nordlands Stuben zieh’ ich,
Zu der Lappensöhne Fluren,
Gold von ihnen dort zu fordern,
Silber mir dorther zu holen.“
     Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
„Lieber Ahti, du mein Söhnchen,
Haben selber Gold zu Hause,
Silber in der Vorrathskammer,
Noch am letztverflossnen Tage,

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In des Morgens frühster Stunde

Ackerte der Knecht den Acker,
Pflügte er das Feld voll Schlangen,
Einen Deckel hob die Pflugschar,
Aus dem Kasten Geld in Fülle,
Hunderte die waren dorten,
Tausende dort angesammelt,
Bracht’ den Kasten in die Kammer,
Setzt’ ihn an des Sparrens Ende.“
     Sprach der muntre Lemminkäinen:

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„Mag des Hauses Vorrath nimmer,

Hol’ mir Silber aus dem Kriege,
Halte dieß bei weitem höher,
Als das ganze Gold zu Hause,
Als das ausgepflügte Silber;
Bringe mir das Kriegeshemde,
Trag herbei den Rock des Kampfes!
Nach dem Nordland werd’ ich ziehen,
In dem Streit mit Lappenkindern.“
     „Dorthin treibt mich das Gelüste,

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Dorthin denken meine Sinne,

Will mit eignen Ohren hören,
Seh’n mit meinen eignen Augen,
Giebt’s im Düsterland ein Mädchen,
Eine Jungfrau in dem Nordland,
Die sich nicht um Freier kümmert,
Nicht den Männern Beifall spendet.“
     Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
„Lieber Ahti, du mein Söhnchen,
Hast im Hause ja Kyllikki,

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Eine Hausfrau, die weit schöner;

Seltsam wären zwei der Weiber
In dem Bette eines Mannes.“
     Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Kyllikki läuft gern im Dorfe,
Laß sie nur zu jedem Spiele
Und in jedem Haus’ sie schlafen,
Bei der Dorfesjugend Freuden,
Bei dem Tanz der Schöngelockten!“
     Abzuhalten sucht die Mutter,

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Warnet ihn die theure Alte:

„Gehe nicht, mein liebes Söhnchen,
Nach des Nordlands fernen Stuben,
Ohne irgend Zauberkunde,
Ohne Weisheit zu besitzen,
Zu der Nordlandskinder Feuern,
Zu der Lappensöhne Fluren!“
„Dorten singt der Lappenjunge,
Dränget dich der Turjaländer
Mit dem Munde in die Kohlen,

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Kopf und Arm dir in das Feuer,

Mit der Hand in heiße Asche,
Auf die glutherfüllten Steine.“
     Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Schon bezauberten mich Zaubrer,
Bannten mich schon einstmals Schlangen,
Drei der Lappen wohl vereinet
In der Nacht zur Zeit des Sommers,
Nackt auf einem festen Felsen
Ohne Gurt und ohne Röcke,

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Ohne daß ein Band sie deckte;

Haben das von mir gewonnen,
Haben das von mir erhalten,
Was die Axt vom Stein gewinnet,
Was der Bohrer von dem Felsen,
Was der Absatz von dem Eise,
Was der Tod aus leerer Stube.“
     „Anders hatte man gedrohet,
Anders ging die Sach’ von Statten,
Drohten zaubernd mich zu bannen,

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Drohten tief mich zu versenken

In den Sumpf, daß ich getreten,
In den Schmutz gestecket würde
Bis zum Kinn in Morasterde,
Bis zum Bart in argen Boden,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_060.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)