An dem dritten steigst du höher
Auf der sieben Sterne Rücken;
Kurz ist dann der Weg von dorten,
Unbedeutend nur die Strecke
Zu dem Sitz des heil’gen Gottes,
Zu des Sel’gen Aufenthalte.“
Bienchen hob sich von der Erde,
Mit den Flügeln von dem Rasen,
Flatterte mit sanftem Fächeln,
Längs des Hofes von dem Monde,
Streifet selbst am Rand der Sonne,
An des großen Bären Schultern,
Auf der sieben Sterne Rücken,
Flieget zu des Schöpfers Keller,
In des Machterfüllten Kammern;
Dort bereitet’ man das Mittel,
Machte man zurecht die Salbe
In den silberreichen Grapen,
In der Mitte kocht der Honig,
An den Seiten weiche Salben,
Honig auf der Sonnenseite,
In dem Hintergrunde Salben.
Bienchen nun, der Lüfte Vöglein,
Sammelt Honig dort in Fülle,
Süßen Seim nach Wunsch des Herzens;
Wenig Zeit war hingegangen,
Kommet schon herbeigesummet,
Hundert Hörnchen in den Armen,
Tausend andre Traggefäße
Voll von Honig, voll von Wasser,
Voll der allerschönsten Salben.
Lemminkäinen’s Mutter selber
Nahm sie in den Mund behende,
Kostet’ sie mit ihrer Zunge,
Prüft’ sie streng in ihrem Sinne:
„Dieses ist die rechte Salbe,
Womit Gott der Höchste salbet,
Selbst den Schmerz der Schöpfer stillet.“
Darauf salbte sie den Schwachen,
Heilt den Sohn, der schlecht gefahren,
Salbt die Knochen längs den Fugen,
Streicht die Glieder längs den Spalten,
Salbet oben, salbet unten,
Streicht sodann die Mittelstücke,
Redet Worte solcher Weise,
„Stehe auf von deinem Schlafe
Und erheb’ dich aus dem Schlummer
Von der überschlechten Stelle,
Von dem unheilsvollen Lager!“
Es erwacht der Mann vom Schlafe,
Er erhebt sich von dem Schlummer,
Konnte jetzt schon Worte sprechen,
Redet’ selber mit der Zunge:
„Habe freilich lang’ geschlafen,
Habe wundersüß geschlafen,
War gar tief in Schlaf versunken.“
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s,
Redet’ selber diese Worte:
„Länger hättest du geschlafen,
Hätt’st noch länger so gelegen
Ohne deine arme Mutter,
Ohne mich, die dich getragen.“
„Sage nun, mein armes Söhnchen,
Wer denn bracht’ dich nach Manala,
Sandte dich zum Fluße Tuoni’s?“
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Gab zur Antwort seiner Mutter:
„Naßhut, er, der Heerdenhüter,
Aus dem Schlummerland ein Blinder
Hat gebracht mich nach Manala,
Mich gesandt zum Fluße Tuoni’s,
Schickt’ die Schlange aus dem Wasser,
Gegen mich, den Müherfüllten,
Konnte sie dort nicht erkennen,
Kannte nicht der Schlange Qualen,
Nicht den Schmerz der Röhrengleichen.“
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_081.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)