Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 088.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Siebzehnte Rune.


     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Hatt’ die Worte nicht erlanget
Aus den Häusern von Tuonela,
Aus Manala’s Wohngebäuden,
Dachte stets in seinem Sinne
Und erwägt’s in seinem Kopfe,
Wo er wohl die Worte fände,
Wo die günst’gen Sprüch’ erlangte.
     Kommt ein Hirte ihm entgegen,

10
Redet Worte solcher Weise:

„Hundert Worte kannst du finden,
Tausend Lieder du erkunden
Aus dem Munde von Wipunen,
Aus dem Bauch des Krafterfüllten;
Führet wohl ein Weg zur Stelle,
Führt ein Fußsteig zu dem Orte,
Nicht gehört er zu den besten,
Auch nicht zu den allerschlimmsten;
Eine Strecke mußt du laufen

20
Auf der Weibernadel Spitze,

Darauf eine Strecke gehen
Auf des Männerschwertes Spitze,
Drittens mußt du vorwärts schreiten
Auf des Heldenbeiles Schneide.“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Überlegte diese Wandrung,
Schreitet zu des Schmiedes Esse,
Redet Worte solcher Weise:
„Ilmarinen, du, o Schmieder,

30
Schmiede du mir Schuh’ aus Eisen,

Mache Handschuh’ mir aus Eisen,
Schmiede mir ein Hemd aus Eisen,
Einen Hebebaum aus Eisen,
Gegen Lohn aus Stahl den Kolben,
Lege Stahl genug nach innen,
Überziehe ihn mit Eisen;
Worte geh’ ich jetzo holen,
Sprüche will ich mir verschaffen
Aus dem Bauch des Krafterfüllten,

40
Aus dem Munde von Wipunen.“

     Selbst der Schmieder Ilmarinen
Redet Worte solcher Weise:
„Längst gestorben ist Wipunen,
Längst Antero hingeschwunden,
Nicht mehr legt er seine Fallen,
Stellet nicht mehr seine Schlingen,
Kannst von ihm nicht Worte holen,
Nicht einmal des Wortes Hälfte.“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft

50
Gehet dennoch nichts beachtend,

Läuft den ersten Tag behende
Auf der Weibernadel Spitze,
Schläfrig schreitet er den zweiten
Auf des Männerschwertes Spitze,
Schwingt sich an dem dritten Tage
Auf des Heldenbeiles Schneide.
     Selbst Wipunen reich an Liedern,
Er, der Alte, stark an Kräften,
Lag mit seinen Liedern dorten,

60
Mit den Sprüchen ausgestrecket,

Auf den Schultern wuchs die Espe,
An den Schläfen eine Birke,
Eine Erle auf dem Kinne,
Auf dem Barte wuchsen Weiden,
Auf der Stirn die Eichhornfichte,
Aus den Zähnen eine Tanne.
     Schon erscheinet Wäinämöinen,
Zieht das Schwert, entblößt das Eisen
Aus der Scheide starken Leders,

70
Aus dem Gurt aus Rückenleder,

Fällt die Espe von den Schultern,
Fällt die Birke von den Schläfen,
Von dem Kinn die breiten Erlen,
Von dem Bart die grauen Weiden,
Von der Stirn die Eichhornfichte,
Fällt die Tanne an den Zähnen.
     Stieß die lange Eisenstange
In den großen Mund Wipunen’s,
In das schauderhafte Zahnfleisch,

80
Durch das Kinn mit ew’gem Klappern,
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_088.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)