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Du, o Hund, du Herrenloser,
Gehe Welp, du Mutterloser,
Während diese Zeit entschwindet,
Dieser Mond zu Ende gehet!“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
„Gut ist mir’s hieselbst zu weilen,
Angenehm hieselbst zu bleiben,
Statt des Brotes dient die Leber,

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Und das Fett ist mir die Zukost,

Gut zu kochen sind die Lungen,
Gute Kost gewährt das Speck mir.“
     „Werde meine Schmiedestätte
Tiefer in das Herzfleisch setzen,
Werd’ den Hammer kräft’ger schlagen
In die allerschlimmsten Stellen,
Daß du nie in deinem Leben,
Nie von mir befreiet werdest,
Wenn ich nicht die Worte höre,

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Nicht die Zaubersprüche lerne,

Nicht mich daran satt gehöret,
Tausend gute Zauberweisen;
Nimmer darf das Wort verborgen,
Nicht versteckt die Sprüche bleiben,
In die Erde nicht versinken,
Wenn die Zaubrer auch verschwinden.“
     Selbst Wipunen reich an Liedern,
Er, der krafterfüllte Alte,
Hat im Munde großen Zauber,

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Unbegränzte Macht im Busen,

Öffnete der Worte Kiste,
Machte auf der Lieder Lade,
Um gar guten Sang zu singen,
Um den besten vorzulegen:
Von der Dinge erstem Ursprung,
Sprüche von der Dinge Anfang,
Welche Kinder nimmer singen,
Nicht die starken Helden kennen,
Jetzt in diesen bösen Zeiten,

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Bei dem sinkenden Geschlechte.

     Sang den Ursprung bis zum Grunde,
Nach der Ordnung allen Zauber,
Wie sich nach des Schöpfers Willen,
Auf des Machterfüllten Fordrung
Von ihm selbst die Luft geschieden,
Aus der Luft sich Wasser trennte,
Aus dem Wasser dann die Erde,
Aus der Erde die Gewächse.
     Sang, wie einst der Mond geschaffen,

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Wie die Sonne hingesetzet,

Wie der Lüfte Pfeiler wurden,
Wie die Sterne an dem Himmel.
     Selbst Wipunen reich an Liedern
Singt genug, versteht die Sache,
Nimmer ist gehört, gesehen,
Nie so lang’ die Zeiten dauern,
Einer, der da besser sänge,
Der den Zauber kräft’ger könnte;
Worte trieb der Mund in Menge,

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Schickt’ die Zunge gar geschwinde

Gleich des Füllens raschen Beinen,
Gleich des Reitpferds schnellen Füßen.
     Singt so Tagelang die Lieder,
Singt die Nächte nach einander,
Seinem Sange lauscht die Sonne,
Stehen bleibt der Mond im Laufe,
Auf dem Meere stehn die Wellen,
In der Bucht die großen Wogen,
Selbst des Flusses Strom hält inne,

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Mit dem Schäumen selbst der Rutja,

Mit dem Strömen der Wuoksen,
Stille stand sogar der Jordan.
     Als der alte Wäinämöinen
So die Worte hatt’ vernommen,
Sie genugsam angehöret,
Gute Sprüche sich verschaffet,
Bricht er auf davonzugehen
Aus dem Munde von Wipunen,
Aus dem Bauch des Krafterfällten,

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Aus des Zauberstarken Busen.

     Sprach der alte Wäinämöinen:
„O du Antero Wipunen,
Öffne deinen Mund nun breiter,
Thue auf des Mundes Winkel

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_094.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)