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Achtzehnte Rune.


     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Dachte nach und überlegte
Hinzugehn und heimzuführen
Eine schöngelockte Jungfrau
Aus dem nimmerhellen Nordland,
Aus dem düstern Sariola,
Nordlands weitberühmte Tochter,
Solch ein Bräutchen aus dem Norden.
     Giebt dem Boote die Bekleidung,

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Kleidet roth des Nachens Hälfte,

Schmückt mit Gold das vordre Ende,
Ziert es aus mit schönem Silber;
Drauf an einem schönen Morgen,
In des Tages erster Frühe
Stößt das Fahrzeug er ins Wasser,
In die Fluth das plankenreiche
Von den borkentblößten Rollen,
Von den runden Tannenblöcken.
     Richtet auf den starken Mastbaum,

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Ziehet Segel auf die Masten,

Ziehet auf ein rothes Segel,
Zieht ein Segel blauer Farbe,
Steigt dann selbst hinab ins Fahrzeug,
Gehet in sein neues Schifflein,
Ging um durch das Meer zu steuern,
Um die blaue Bahn zu furchen.
     Redet’ Worte solcher Weise,
Ließ sich selber also hören:
„Komme nun ins Boot, o Höchster,

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In das Schiff, Erbarmungsreicher,

Zu dem Schutz des schwachen Helden,
Zu des kleinen Mannes Stütze,
In den weiten Wogenflächen,
Auf den ausgedehnten Fluthen!“
     „Wiege, Wind den schönen Nachen,
Treibe, Woge, mir mein Schifflein,
Ohne daß ich Ruder brauche
Und das Wasser damit schlage
Auf des Meeres weitem Rücken,

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Auf den weitgedehnten Fluthen!“

     Annikki mit gutem Namen,
Sie, der Nacht und Dämmrung Tochter,
Die schon vor dem Tage wache,
Die des Morgens früh erwachet,
Hatte Wäsche durchzuklopfen,
Hatte Kleider auszuspülen
An der rothen Brücke Ende,
An des breiten Steges Kante,
Auf der nebelreichen Spitze

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Auf dem waldbewachsnen Eiland.

     Blickt rundum nach allen Seiten
In die weitgedehnten Lüfte,
Blickt nach oben hin zum Himmel,
Blickt vom Strande hin zum Meere:
Oben schien gar schön die Sonne,
Unter schimmerten die Wogen.
     Warf die Augen hin zum Meere,
Wandt’ den Kopf gerad zur Sonne;
An des Suomiflusses Mündung,

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Bei des Wäinöstromes Ausfluß

Sieht sie auf dem Meer’was Schwarzes,
Etwas Blaues auf den Wogen.
     Redet Worte solcher Weise
Läßt sich selber also hören:
„Was ist auf dem Meere Schwarzes,
Was das Blaue auf den Wogen?
Bist du eine Gänseheerde,
Oder eine Heerde Enten,
Nun so steige auf zum Fluge

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In die Höhe zu dem Himmel!“

     „Bist du eine Lachsesklippe
Oder sonst ein Zug von Fischen,
Nun so tauche dich zum Schwimmen,
Geh ins Innre du der Wogen!
     „Bist du eine Felsenklippe
Oder sonst ein Zweig im Wasser,
Möge dich die Fluth bespülen,
Möge Wasser dich bedecken.“
     Weiter rückte da das Fahrzeug,

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Segelte das junge Schifflein
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_096.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)