Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 127.jpg

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Von dem Lager du in Weizen,
Von der Streu zu frischer Butter,
Konntest du nicht Butter essen,
Schnittst vom Schweinefleisch du Scheiben.“
     „Warest niemals, Kind, in Sorgen,
Hattest niemals viel zu denken,
Ließ’st den Tannen alle Sorgen,
Die Gedanken den Staketen,
Allen Kummer Sumpfesfichten

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Und der Birke auf dem Sande,

Flattertst selber gleich dem Blättlein,
Gleich dem muntern Schmetterlinge,
Eine Beer’ auf Heimathboden,
Eine Himbeer’ auf den Fluren.“
     „Gehest nun aus diesem Hause,
Wanderst hin zu anderm Hause,
Hin zu einer andern Mutter,
Hin zu fremdem Hausgesinde,
Anders ist es hier und dorten,

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Anders in dem andern Hause,

Andre Hörner blasen dorten,
Andre Thüren knarren dorten,
Andre Pforten drehn sich dorten,
Andre Angeln zischen dorten.“
     „Nicht kannst du zur Thüre finden,
Nicht die Pforte richtig drehen
Nach der Art der Töchter dorten,
Kannst das Feuer auch nicht schüren,
Nicht den Ofen dorten heizen

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Nach dem Sinn der Männer dorten.“

     „Glaubtest du, o junges Mädchen,
Wußtest du es, als du meintest,
Nur auf eine Nacht zu gehen
Und am Tag zurück zu kehren?
Wanderst nicht auf eine Nacht nur,
Nicht auf eine, nicht auf zwei nur,
Bist auf längre Zeit gewandert,
Gingst auf Jahre und auf Monde,
Lebenslang vom Vaterhause,

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Während deine Mutter lebet;

Länger ist ein Stück der Hofraum
Und die Schwelle etwas höher,
Wenn du einmal wiederkehrest,
Wieder in die Heimath kommest.“
     Ach, es seufzt das arme Mädchen,
Seufzet sehr und holet Athem,
In dem Herzen hat sie Kummer,
Wasser tritt ihr in die Augen,
Redet selber diese Worte:

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„Also wußt’ ich’s, also dacht’ ich’s,

Meint’ es so, so lang’ ich lebe,
Sprach in meinen Blüthejahren:
Bist als Jungfrau keine Jungfrau
In dem Schutz der eignen Alten,
Auf der Flur des eignen Vaters,
In dem Haus der alten Mutter;
Dann erst bist du eine Jungfrau,
Wenn du zu dem Manne ziehest,
Auf der Schwell’ der Füße einer

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Und der andre in dem Schlitten,

Bist dann größer an dem Kopfe,
Bist dann höher mit den Ohren.“
     „Hoffte dieß, so lang’ ich lebe,
Schaute drauf zur Zeit des Wachsens,
Wünscht’ es gleich dem guten Jahre,
Gleich des schönen Sommers Ankunft;
Schon erfüllet ist mein Hoffen,
Nahgekommen meine Abfahrt,
Auf der Schwell’ mit einem Fuße,

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Mit dem andern in dem Schlitten,

Kann jedoch nicht recht erkennen,
Was den Sinn mir umgeändert,
Gehe nicht mit Freud’ im Herzen,
Scheide nicht mit großem Jubel
Aus dem lieben, goldnen Hause,
Wo als Mädchen ich geweilet,
Aus dem Hof, wo ich gewachsen,
Aus des Vaters Aufenthalte,
Gehe, Schlanke, voller Sorgen,

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Trenne mich mit trüber Stimmung,

Gleichwie in den Arm der Herbstnacht,
Auf das dünne Eis des Frühjahrs,
Keine Spur bleibt auf dem Eise,
Auf der Glätte bleibt kein Fußtritt.“

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_127.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)