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     Wie wohl ist der Sinn der andern,
Wie die Stimmung andrer Bräute,
Andre kennen nicht die Sorge,
Tragen nicht ein traurig Herze,
Wie ich Arme es nun trage

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Und mir schwere Sorgen mache,

Hab’ das Herz nun schwarz wie Kohlen,
Sorgen von der schwärzsten Farbe.“
     „Also ist der Sinn der Sel’gen,
Der Beglückten Stimmung diese,
Wie des Frühlingstages Anbruch,
Wie des Frühlingsmorgens Sonne;
Welche Stimmung hab’ ich Arme,
Welchen Sinn ich Trauerreiche?
Gleich dem flachen Strand der Seeen,

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Wie der dunkle Rand der Wolke,

Wie die finstre Nacht des Herbstes,
Trüb wohl ist der Tag im Winter,
Trüber noch ist meine Stimmung,
Düstrer als die Nacht des Herbstes.“
     Eine arbeitsreiche Alte,
Welche stets im Hause weilte,
Redet’ Worte solcher Weise:
„Siehst du nun, o junges Mädchen!
Weißt du noch, wie ich gesprochen,

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Hundertmal es dir gesaget:

Blicke du nicht froh zum Freier,
Nimmer auf den Mund des Freiers,
Auf die Farbe seiner Augen,
Schaue auf die starken Füße!
Hält den Mund er voller Anmuth,
Wirft die Augen voller Schönheit,
Auf dem Kinn jedoch sitzt Lempo
Und der Tod im hübschen Munde.“
     „Also rieth ich stets der Jungfrau,

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Rieth ich dem Geschwisterkinde:

Kommen große Freiersleute,
Große Freier und Bewerber,
Gieb den Freiern diese Antwort,
Rede du von deiner Seite,
Rede Worte solcher Weise,
Laß auf diese Art dich hören:
„„Niemals wird es mir geziemen,
Nie geziemen und gefallen
Fortzuziehn als Schwiegertochter,

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In die Knechtschaft fortzuwandern,

Nimmer wird ein solches Mädchen
Füglich in der Knechtschaft leben,
Hinzugehn versteh’ ich nirgends,
Nie zu leben unterwürfig;
Sagt’ ein Wörtlein mir der andre,
Geb’ ich zwei gewiß zur Antwort,
Käm’ er mir an meine Haare,
Und gerieth’ er an die Locken,
Würd’ ich von dem Haar ihn treiben,

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Würde ihn gar schlimm zerzausen.““

     „Dieses hast du nicht beachtet,
Nicht gehöret meine Worte,
Gingst mit Willen in das Feuer,
Wissentlich in Theeres Brühe,
Eiltest in des Fuchses Schlitten,
Zu des Bären breiten Tatzen,
Daß der Schlitten dich entführte,
Dich der Bär in’s Weite trüge
Zu der Knechtschaft bei dem Wirthen,

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Unterthan der Schwiegermutter.“

     „Gingst von Hause nach der Schule,
Zu der Pein vom Hof des Vaters,
Hart ist’s dir zur Schul’ zu gehen,
Qualvoll, Arme, dort zu weilen,
Zügel sind dort schon gekaufet,
In Bereitschaft Sclavenfesseln,
Nicht für irgend einen andern,
Nein, für dich, du Unglücksvolle.“
     „Wirst gar bald die Härte fühlen,

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Fühlen wirst du, Hartgeprüfte,

Deines Schwähers Kinn von Knochen,
Seines Weibes starre Zunge,
Deines Schwagers kalte Worte,
Deiner Schwägrin stolzen Nacken.“
     „Höre, Jungfrau, was ich rede,
Was ich rede, was ich spreche!
Warst ein Blümlein in dem Hause,
Eine Freud’ im Hof des Vaters,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_128.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)