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Meines stolzen Gatten Herzen.“

     „War ein Blümlein, das da sproßte,
Voll Gedeihn ein Heideröschen,
Stieg als junges Reis nach oben,
Schoß empor als schlanke Jungfrau,
Wie ein Honigblümlein ruhmvoll,
Wie beim Kosen die Geliebte,
Wie die Ent’ im Hof des Vaters,
Wie die Ente bei der Mutter,
Wie des Bruders Wasservogel,

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Wie das Finklein bei der Schwester;

Ging der Blume gleich des Weges,
Wie die Himbeer’ auf dem Acker,
Lärmte auf dem Sand des Ufers,
Wiegte mich auf Blumenhügeln,
Sang beständig in den Thälern,
Trällerte auf jedem Hügel,
Spielte froh in jedem Wäldchen,
Freute mich in allen Hainen.“
     „Trieb das Maul den Fuchs zur Falle

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Und die Zung’ das Hermelinchen,

Trieb der Sinn zur Manneswohnung,
Hin zu anderm Haus das Mädchen;
So geschaffen ist die Jungfrau,
So gewieget ist die Tochter
Zu dem Mann als junges Weibchen,
Unterthan der Schwiegermutter.“
     „Eilt’ als Beer’ in andern Boden,
Eilt’ als Kirsch’ zu anderm Wasser,
Eine Preiselbeer’ zum Leiden,

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Eilt’ als Erdbeer’ voller Hitze,

Jeder Baum schien mich zu beißen,
Jede Erle mich zu schneiden,
Jede Birke mich zu greifen,
Jede Eiche mich zu packen.“
     „Kam als Frau zur Männerwohnung,
Ward geführt zur Schwiegermutter,
Dorten wären, wie man sagte,
Als ich hingeleitet wurde,
Sechs der Stuben, die von Fichten,

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Doppelt wär’ die Zahl der Kammern,

Speicherreich die Hainesränder,
Blumenland der Gasse Ränder,
Gerstenland des Baches Ränder,
Haferland der Heide Ränder,
Vorrath, der bereits gedroschen
Andrer, den man dreschen sollte,
Hundert Summen, die erhalten,
Hundert andre zu erhalten.“
     „War gar dumm dahingekommen,

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Hatte dumm die Hand gegeben,

Sechs der Stützen hatt’ die Stube,
Hatte sieben Zaunstaketen,
Voller Härte waren Haine,
Voller Ungunst alle Büsche,
Alle Gänge voller Sorgen,
Böser Stimmung alle Wälder,
Schlechter Vorrath in den Kasten,
Andre Kasten ohne Vorrath,
Hundert Worte, die erhalten,

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Hundert andre zu erhalten.“

     „Kümmerte mich auch nicht darum,
Suchte dort mit Ruhm zu leben,
Hoffte mir auch dadurch Ehre,
Strebte dadurch auch nach Güte:
Brachte man mich nach der Stube,
Sucht’ ich Späne aufzusammeln,
Stoß’ die Stirn da an die Thüre,
Meinen Kopf an ihren Pfosten,
An der Thür sind fremde Augen,

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Finstre Augen am Verschlage,

Scheele auf des Bodens Mitte,
In dem Hintergrund gar böse;
Feuer sprühte aus dem Munde,
Brände schossen von der Zunge,
Aus dem Mund des qarst’gen Schwähers,
Von der Zung’ des Liebelosen.“
     „Kümmerte mich auch nicht darum,
Irgendwie im Haus zu leben,
Stets in Gnade dort zu weilen,

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Voll von Demuth mir zu rathen;

Hüpfte mit des Hasen Beinen,
Ging mit Hermelinchens Tritten,
Legte mich gar spät zur Ruhe,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_139.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)