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     „Danke dir, o lieber Vater,
Für das ganze früh’re Leben,
Für die Kost, die ich genossen,
Für die allerbesten Bissen.“
     „Danke dir, o liebe Mutter,
Für das Wiegen in der Kindheit,
Daß die Kleine du getragen,

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Mit den Brüsten mich genähret.“

     „Danke dir, o lieber Bruder,
Dir, o Bruder, dir, o Schwester,
Danke auch dem Hausgesinde,
Allen Freunden meiner Jugend,
Welchen ich gepaart gelebet,
In der Jugend aufgewachsen.“
     „Magst du nicht, o lieber Vater,
Niemals du, geliebte Mutter,
Du auch nicht, mein Stamm voll Größe,

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Du geehrte Schaar der Vettern,

Mögt ihr niemals Sorgen haben,
Nie in großen Kummer kommen,
Daß in andres Land ich ziehe,
Daß ich anderswohin gehe!
Scheint ja doch des Schöpfers Sonne,
Leuchtet doch der Mond des Schöpfers,
Schimmern auch des Himmels Sterne,
Liegt das Licht des großen Bären
Ausgebreitet in den Lüften

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Anderswo auch auf der Erde,

Nicht allein im Hof des Vaters,
Auf der lieben Jugendstätte.“
     „Freilich muß ich jetzo scheiden
Von dem goldnen Heimathshause,
Von dem Saale meines Vaters,
Von der Mutter offnem Keller;
Lasse Sümpfe, lasse Felder,
Lasse meine Rasenplätze,
Lasse meine klaren Bäche,

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Lasse meine sand’gen Ufer,

Daß die Weiber sich dort baden,
Dort die Hirtenknaben plätschern.“
     „Lass’ den Rauschenden die Sümpfe,
Lass’ den Furchenden die Felder,
Lass’ den Ruhenden die Wälder,
Lass’ den Schwärmenden die Heiden,
Lass’ den Schreitenden die Zäune,
Lass’ den Wandelnden die Gassen,
Lass’ den Laufenden die Höfe,

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Lass’ den Stehenden die Wände,

Lass’ den Säubernden die Dielen,
Lass’ den Kehrenden die Bretter,
Lass’ den Rennthieren die Felder,
Lass’ den Luchsen frei die Haine,
Gänse auf den Fluren weilen,
Vögel in dem Busche ruhen.“
     „Scheide freilich nun von hinnen,
Scheide an des Andern Seite,
In die Arme einer Herbstnacht,

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Auf das glatte Eis des Frühjahrs,

Daß man keine Spuren wahrnimmt,
Auf der Glätte nicht die Tritte,
Auf der Kruste nicht die Röcke,
Auf dem Schnee des Saumes Eindruck.“
     „Kehr’ ich einstmals hieher wieder,
Komm’ ich nach der lieben Heimath,
Hört die Mutter nicht die Stimme,
Nicht der Vater mehr das Weinen,
Wenn ich an den Schläfen jammre,

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An des Kopfes Seite singe,

Schon ist junges Gras gewachsen,
Schon Wachholder aufgeschossen
Auf dem Leibe meiner Mutter,
Auf dem Haupt der lieben Alten.“
     „Wenn ich wieder nun erscheine
Auf dem weitgestreckten Hofe,
Wird mich niemand anders kennen
Außer zwei der kleinsten Dinge:
Unten an dem Zaun das Bändchen,

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An des Feldes End’ die Stange,

Hab’ gar jung sie eingestecket,
Hab’ als Mädchen sie bebunden.“
     „Meiner Mutter güste Hauskuh,
Die gar klein noch ich getränket,
Die als Kalb ich stets gefüttert,
Die gar unablässig brüllet

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_148.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)