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Sechsundzwanzigste Rune.


     Ahti weilte auf der Insel,
An der Bucht der Kaukospitze,
Ackerte auf seinem Felde
Und durchfurchte seine Fluren,
War gar fein mit seinen Ohren,
Hatte ein Gehör voll Schärfe.
     Hörte Lärmen her vom Dorfe,
Hört’ Geräusch vom Seegestade,
Von dem glatten Eise Tritte,

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Von der Flur den Lärm des Schlittens;

Durch den Sinn fährt ihm der Einfall,
In den Kopf ihm der Gedanke:
Hochzeit hält das Volk Pohjola’s,
Hält gar heimlich ein Gelage.
     Mund und Kopf gar schief gezogen,
Schief gesenkt die schwarzen Haare,
Ließ sein Blut gar bös er sinken
Von der armen Wangen Fläche;
Ließ zur Stund’ das Pflügen liegen,

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Mitten auf dem Feld das Furchen,

Steiget von der Erd’ zu Pferde,
Gehet grade nun nach Hause
Zu der vielgeliebten Mutter,
In die Nähe dieser Alten.
     Sprach, als er dorthin gekommen,
Giebt der Alten solche Weisung:
„Liebe Mutter, theure Alte,
Schaffe Speise gar geschwinde
Für den Mann, der sehr voll Hunger,

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Daß der Gier’ge sie verschlinge;

Laß zugleich die Badstub’ heizen,
Laß mir schnell ein Bad bereiten,
Wo der Mann den Leib sich wasche
Und mit Heldenzier sich schmücke!“
     Schafft die Mutter Lemminkäinen’s
Darauf Speise gar geschwinde
Für den Mann, der voller Hunger,
Das der Gier’ge sie verschlinge,
Während man das Bad bereitet,

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Man in Ordnung bringt die Badstub’.

     Nahm der muntre Lemminkäinen
Drauf in Eile ein die Speise,
Eilends ging er nach dem Bade,
Schritt er zu der Badestube;
Dorten wusch sich nun das Finklein,
Reinigte den Leib die Ammer,
Wusch den Kopf zu Flachses Weiße
Und den Hals zu schönerm Glanze.
     Kam zur Stube aus dem Bade,

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Redet’ Worte solcher Weise:

„Liebe Mutter, theure Alte,
Geh zur Kammer auf dem Berge,
Bringe mir mein Hemd, das schöne,
Bringe mir den Rock, den festen,
Daß ich mich mit ihm bekleide,
Ihn an meine Glieder lege!“
     Früher fragte ihn die Mutter,
Forscht’ ihn aus die alte Hausfrau:
„Wohin gehest du, mein Söhnchen,

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Gehst du einen Luchs zu jagen,

Gehst ein Elenn einzuholen
Oder du ein Eichhorn schießen?“
     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Mutter, die du mich getragen,
Gehe keinen Luchs zu jagen,
Geh’ kein Elenn einzuholen,
Auch kein Eichhorn mir zu schießen;
Gehe zu dem Schmaus Pohjola’s,

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Zum Gelag des dumpfen Haufens;

Bringe mir mein Hemd, das schöne,
Hole mir den Rock, den festen,
Daß zur Hochzeit ich ihn anzieh’,
Beim Gelage ihn gebrauche!“
     Ihrem Sohn verbot’s die Mutter,
Ihrem Manne auch die Gattin,
Zwei der allerbesten Menschen,
Auch der Schöpfungstöchter Dreischaar,
Daß nicht Lemminkäinen ginge

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Zu dem Schmause von Pohjola.
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_160.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)