Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 164.jpg

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Selbst hol’ ich das Schwert des Vaters,
Schaue selbst des Alten Klinge,
Hat gar lange kalt gelegen,
Lange an geheimer Stelle,
Hat beständig dort geweinet,
Nach dem Träger dort verlanget!“
     Nahm nun so das Kriegeshemde,

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Nahm die alte Kampfesrüstung,

Seines Vaters treue Klinge,
Nahm die Streitaxt seines Alten;
Stützt die Spitze auf den Boden,
Stößt die Schneide auf die Diele,
In der Hand biegt sich die Klinge
Wie des Faulbaums frischer Wipfel
Oder wachsender Wachholder;
Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Schwerlich ist in Nordlands Stuben,

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In den Räumen Sariola’s

Wer mit diesem Schwert sich messen,
Diese Klinge schauen möchte.“
     Von der Wand nimmt er den Bogen,
Nimmt den festen von dem Pflocke,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Werde einen Mann den nennen,
Den als Helden anerkennen,
Der mir meinen Bogen krümmen,

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Der die Sehne spannen könnte

In den Stuben von Pohjola,
In den Räumen Sariola’s.“
     Lemminkäinen voller Frohsinn,
Er, der schöne Kaukomieli,
Ziehet an das Kriegeshemde,
Leget an die Kampfesrüstung,
Redet selbst zu seinem Knechte,
Läßt auf diese Art sich hören:
„O du Knecht, den ich gekaufet,

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Den mit Geld ich mir gewonnen!

Rüste eilends mir mein Streitpferd,
Schirre an das edle Kampfroß,
Daß ich zu dem Schmause ziehe,
Zum Gelag des Lempohaufens!“
     Gar gehorsam, wohlberathen,
Geht geschwind der Knecht zum Hofe,
Schirret an das muth’ge Streitroß,
Rüstete das feuerrothe,
Redet, als er dann gekommen:

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„Hab’ gethan was mir befohlen,

Hab’ dein Roß schön ausgerüstet,
Hab’ das Pferd schon angeschirret.“
     Darauf kam dem Lemminkäinen
Schon die Zeit um fortzugehen,
Treibt die Rechte, schweigt die Linke,
Seine Fingersehnen schmerzen;
Ging drauf, wie er es gewollet,
Ging gar kräftig, ohne Bangen.“
     Ihrem Sohne rieth die Mutter,

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Ihrem Kinde so die Alte

An der Thüre bei dem Sparren,
An dem Ruheplatz des Kessels:
„O mein einz’ges, liebes Söhnchen,
Du, mein Kind mit größer Stärke!
Eilst du zu dem Trinkgelage,
Kommest du wohin du wolltest,
Trink zur Hälfte nur die Kanne,
Nur zur Mitte du die Schaale,
Gieb die andre Hälfte weiter,

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Sie, die schlechtre, einem Schlechtern,

Schlangen ruhen in der Schaale,
Würmer auf der Kanne Boden!“
     Ferner rathet sie dem Sohne,
Giebt dem Kinde feste Weisung
An dem letzten Feldesende,
Bei der allerletzten Pforte:
„Eilst du zu dem Trinkgelage,
Kommest du wohin du wolltest,
Sitze halb nur auf dem Sitze,

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Schreite nur mit halbem Schritte,

Gieb die andre Hälfte weiter,
Sie, die schlechtre, einem Schlechtern,
So nur kannst ein Mann du werden,
Kannst ein wahrer Held du werden,
Daß du durch die Schaaren schreitest,
Durch die Reden offen gehest

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_164.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)