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„Giebt es Platz wohl auf der Insel,
Land wohl auf des Eilands Fluren,
Daß das Boot an’s Land ich ziehe,
Auf das Trockne es dann stürze?“
     Sprachen so des Eilands Jungfraun,
Antwort gaben so die Mädchen:
„Ist wohl Platz hier auf der Insel,
Land hier auf des Eilands Fluren,
Daß das Boot an’s Land du ziehest,

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Daß du es auf’s Trockne stürzest:

Rollen sind hier in Bereitschaft,
Angefüllt der Strand mit Walzen,
Hättest du auch hundert Böte,
Kämst du auch mit tausend Nachen.“
     Darauf zog nun Lemminkäinen
An das Land sein Boot der Muntre,
Auf die Rollen seinen Nachen,
Redet selber diese Worte:
„Giebt es Platz wohl auf der Insel,

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Land wohl auf des Eilands Fluren,

Einen kleinen Mann zu bergen,
Einen von geringen Kräften
Vor dem großen Kampfgetöse,
Vor dem lauten Spiel der Schwerter?“
     Sprachen so des Eilands Jungfraun,
Antwort gaben so die Mädchen:
„Giebt wohl Platz auf dieser Insel,
Land hier auf des Eilands Fluren,
Einen kleinen Mann zu bergen,

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Einen von geringen Kräften:

Haben hier gar viele Schlösser,
Haben hier gar schöne Höfe,
Kämen auch ein Hundert Helden,
Selbst ein Tausend starker Männer.“
     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Redet’ Worte dieser Weise:
„Giebt es Platz wohl auf dem Eiland,
Land wohl auf der Insel Fluren,
Von dem Birkenwald ein Stückchen

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Und ein Bißchen andern Boden,

Wo den Wald ich fällen könnte,
Wo ich ordentlich ihn schwenden?“
     Sprachen da des Eilands Jungfraun,
Antwort gaben so die Mädchen:
„Giebt kein Plätzchen auf dem Eiland,
Land nicht auf der Insel Fluren,
Wo dein Rücken ruhen könnte,
Land nicht von des Scheffels Größe,
Wo den Wald du fällen könntest,

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Schwendenland dir dort bereiten:

Alles Land ist schon vertheilet,
Jedes Feld schon zugemessen,
Schon verlooset ist die Waldung,
Alle Wiesen haben Herren.“
     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Fragt’ der schöne Kaukomieli:
„Giebt es Platz wohl auf der Insel,
Raum wohl auf des Eilands Fluren,
Wo ich meine Lieder singen,

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Langen Sang erheben könnte?

Worte schmelzen mir im Munde,
Keimen mir aus meinem Zahnfleisch.“
     Sprachen so des Eilands Jungfraun,
Antwort gaben so die Mädchen:
„Giebt wohl Platz hier auf der Insel,
Land hier auf des Eilands Fluren,
Wo du deine Lieder singen,
Guten Sang erheben könntest,
Wo du in dem Haine spielen,

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Auf dem Felde tanzen könntest.“

     Drauf begann nun Lemminkäinen,
Er, der Muntre, frisch zu singen,
Ließ im Hofe Ebereschen,
Eichen auf der Flur entstehen,
Ebne Zweige an den Eichen,
Eicheln drauf an jedem Zweige,
An den Eicheln goldne Rollen,
Einen Kuckuck an der Rolle:
Wenn der Kuckuck rufen wollte,

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Schäumte Gold ihm aus dem Schnabel,

Floß das Kupfer von den Seiten,
Kam herabgerauscht das Silber
Zu den goldbedeckten Hügeln,
Zu den silberreichen Bergen.

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_180.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)