Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 181.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

     Ferner sang noch Lemminkäinen,
Sang er noch und zaubert’ ferner
Bloßen Sand zu schönen Perlen,
Steine, daß sie ganz erglänzten,
Bäume, daß sie roth sich färbten,

170
Blumen von des Goldes Farbe.

     Ferner sang noch Lemminkäinen,
Zaubert’ einen Born im Hofe,
Auf ihn einen goldnen Deckel,
Auf den Deckel einen Schöpfkrug,
Daß die Bursche Wasser tränken,
Daß die Maid die Augen wüsche.
     Singet Teiche auf die Fluren,
Blaue Enten in die Teiche
Goldenwangig, silberköpfig,

180
Ihre Zehen ganz aus Kupfer.

     Staunen da des Eilands Jungfraun,
Wundern sich der Insel Mädchen
Ob des Sangs von Lemminkäinen,
Ob der Zauberkraft des Helden.
     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Sänge wohl ein schönes Liedlein,
Würde schönen Sang erheben,
Wär’ ich unter einem Dache,

190
Säß’ ich an des Tisches Ende;

Wenn nicht eine Stube da ist,
Wenn ich nicht auf Brettern stehe,
Werf’ ich meine Sprüch’ zum Haine,
Meine Lieder ich zum Walde.“
     Sprachen so des Eilands Jungfraun,
Meinten so der Insel Mädchen:
„Haben Stuben zum Betreten,
Schöne Höfe dort zu weilen,
Aus der Kält’ das Lied zu führen

200
Und von draußen deine Worte.“

     Darauf singet Lemminkäinen,
Als zur Stube er gekommen,
Zauberte zum Vorschein Krüge
Auf des langen Tisches Kante,
Krüge, die mit Bier gefüllet,
Kannen mit dem Honigtranke,
Schüsseln, die gar schwer belastet,
Schaalen die gefüllt bis oben;
Bier genug war in den Krügen,

210
Honigtrank in jenen Kannen,

Butter dort in großem Vorrath,
Schweinefleisch genug vorhanden
Zu der Speisung Lemminkäinen’s,
Zur Befried’gung Kaukomieli’s.
     Kauko ist gewaltig vornehm,
Macht sich nicht daran zu essen
Ohne Messer reich an Silber,
Ohne goldverzierte Schneide.
     Fand ein Messer reich an Silber,

220
Sang ihm eine goldne Klinge,

Ißt darauf recht nach Belieben,
Trinkt das Bier mit voller Wonne.
     Drauf bewegt sich Lemminkäinen
Durch die Dörfer nach der Reihe
Zu der Inseljungfraun Freude,
Zu der Schöngelockten Wonne;
Wo den Kopf er hingewendet,
Kam ein Mund ihm schon entgegen,
Wo die Hand er hingerichtet,

230
Wird die Hand ihm schon gefasset.

     Ging zur Nachtzeit übernachten
In den dunkelsten Verstecken,
War wohl dort nicht eins der Dörfer,
Wo nicht zehn der Höfe waren,
War daselbst der Höfe keiner,
Der nicht zehn der Töchter zählte,
War daselbst wohl keins der Mädchen,
Keine von der Mutter Töchtern,
Neben der er nicht geruhet,

240
Deren Arm er nicht ermüdet.

     Tausend Bräute lernt er kennen,
Hundert Wittwen er gewinnen,
Waren zwei nicht in dem Zehend,
Drei nicht in dem ganzen Hundert,
Die als Mädchen unverführet,
Ungerührt als Wittwen blieben.
     Also brachte Lemminkäinen,
Er, der Muntre, zu sein Leben

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_181.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)