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Leih, o Aar, mir drei der Federn,
Drei, o Aar, und zwei, o Rabe.
Zu der Hut des kleinen Bootes
An des schlechten Nachens Leisten!“
     Setzt sich auf des Bootes Boden,
Eilte zu dem Hintertheile,
Kopfgesenkt und schlechter Laune,

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Schiefgeschoben seine Mütze,

Daß er Nachts nicht bleiben durfte,
Nicht bei Tage dorten leben
Bei der Inseljungfraun Freuden,
Bei dem Tanz der Schöngelockten.
     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Scheiden muß von hier der Bursche,
Reisen von den hies’gen Häusern,
Von den Freuden dieser Jungfraun,

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Von dem Tanze dieser Schönen;

Doch bei diesem meinen Scheiden,
Meinen Gehen von dem Orte
Freuen sich die Jungfraun nimmer,
Tanzen nicht die Schöngelockten
In den Stuben voller Thorheit,
In den unglücksel’gen Höfen“.
     Weinten schon des Eilands Jungfraun,
Jammerten der Landzung’ Mädchen:
„Weßhalb gingst du, Lemminkäinen,

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Schiedest du, der Helden bester,

Gingst du ob der Mädchen Keuschheit,
Oder ob des Weibermangels?“
     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Ging nicht ob der Mädchen Keuschheit,
Nimmer ob des Weibermangels;
Würde hundert Weiber haben,
Könnte tausend Mädchen nehmen;
Deshalb geh’ ich Lemminkäinen,

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Scheide ich, der Helden bester,

Da mich Sehnsucht nun ergriffen,
Sehnsucht nach dem Heimathlande,
Nach des eignen Landes Erdbeer’n,
Nach des eignen Berges Himbeer’n,
Nach der eignen Landzung’ Mädchen,
Nach des eignen Hofes Hühnern.“
     Darauf trieb nun Lemminkäinen
Mit dem Schifflein in die Weite;
Kam ein Wind und trieb das Fahrzeug,

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Kamen Wogen, die es trugen

Auf des Meeres blauen Rücken,
Zu den weitgedehnten Öden;
An dem Strande stehn die Armen,
Auf den Steinen dort die Zarten,
Weinen sehr des Eilands Jungfraun,
Jammern sehr die goldnen Mädchen.
     So lang’ weinten dort die Jungfraun,
Jammerten des Eilands Mädchen,
Als der Mastbaum noch zu sehen,

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Und die Eisenringe schimmern;

Weinten nimmer nach dem Mastbaum,
Nimmer nach den Eisenringen,
Weinen nach dem Mann am Maste,
Nach des Eisenhakens Lenker.
     Selber weinte Lemminkäinen,
Weinte er und war betrübet,
So lang’ noch zu sehn die Insel
Und des Eilands Berge schimmern;
Weinte nimmer nach der Insel,

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Nimmer nach des Eilands Bergen,

Weinte nach der Insel Mädchen,
Nach den Gänsen jener Berge.
     Darauf fährt nun Lemminkäinen
Auf des Meeres blauem Rücken,
Segelt einen Tag, den zweiten,
An dem dritten Tage aber
That ein großer Wind entstehen
Und der Lüfte Strand erbrausen,
Kam ein großer Sturm aus Nordwest,

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Scharfe Winde aus dem Osten,

Reißen ab des Bootes Seiten,
Stürzen um des Nachens Wölbung.
     Darauf stürzte Lemminkäinen
Mit den Händen in das Wasser,
Mußte mit den Fingern rudern,
Mit den Füßen mußt’ er steuern.

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_183.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)