Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 206.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

     Nahm sein Messer aus der Scheide,
Um das Brot sich zu zerschneiden,
Gegen Stein fährt da sein Messer,
Gegen harten Fels die Schneide;
Abgebrochen ward die Spitze,
Ganz in Stücke ging die Klinge.
     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Sah sein Messer so zerbrochen,
Fing dann selber an zu weinen,

90
Redet Worte solcher Weise:

„Nur dieß Messer war mir theuer,
War das Einz’ge, was ich liebte,
Hab’ vom Vater es erhalten,
Aus dem Eigenthum des Alten,
Hab’s am Steine nun zerbrochen,
An dem Felsen es zertrümmert,
An dem Brot der schlechten Wirthin,
Am Gebäck des bösen Weibes.“
     „Wie wohl soll den Spott ich lohnen,

100
Diesen Weiberspott bezahlen,

Wie der Garst’gen Wegkost rächen,
Dieß Gebäck der bösen Buhle?“
     Von dem Busche krächzt die Krähe,
Krächzt die Krähe, ruft der Rabe:
„O du ärmstes Silberschnällchen,
Einz’ger Sohn du von Kalerwo!
Weßhalb bist du schlechter Laune,
Weßhalb bist du trüber Stimmung?
Nimm du einen Zweig vom Busche,

110
Eine trockne Birk’ vom Thale,

Treib die Schmutzfüß hin zum Sumpfe,
In den Morast du die Kühe,
Eine Hälfte zu den Wölfen,
Zu den Bären du die andre!“
     „Sammle du des Waldes Wölfe,
Alle Bären du in Haufen,
Nenn’ die Wölfe deine Kleinen
Und die Bären Streifenträger,
Treib sie wie die Heerd’ nach Hause,

120
Wie das bunte Vieh zum Hofe!

Lohnest so den Spott der Wirthin,
So den Hohn des schlechten Weibes.“
     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Redet selber diese Worte:
„Warte, warte, Hiisi’s Buhle!
Wein’ ich um des Vaters Messer,
Wirst du selber mehr noch weinen,
Weinen du um deine Kühe!“
     Nahm vom Busche eine Gerte,

130
Eine Peitsche aus Wachholder,

Trieb die Kühe hin zum Sumpfe,
Jagt’ die Ochsen ins Gestrüppe,
Eine Hälfte zu den Wölfen
Und die andre zu den Bären;
Nennt die Wölfe seine Kühe,
Macht die Bären dann zu Rindern;
Nennet ein’ge seine Kleinen,
Andre nennt er Streifenträger.
     Schon im Süden steht die Sonne,

140
Wendet sich schon nach dem Abend,

Wandert zu den Fichtenfluren,
Eilet zu der Melkestunde;
Sieh, da treibt der böse Hirte,
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Seine Bären nach dem Hause,
Seine Wölfe nach dem Hofe,
Unterweist so seine Heerde,
Redet also zu den Wölfen:
„Reißt entzwei der Wirthin Schenkel,

150
Beißet durch das Fleisch der Wade,

Wenn sie kommt um zuzuschauen,
Wenn sie sich zum Melken bücket!“
     Macht ein Blasrohr aus dem Kuhbein,
Aus dem Ochsenhorn die Pfeife,
Aus Tuomikki’s Bein ein Kuhhorn,
Eine Flöt’ aus Kirjo’s Schienbein;
Spielt’ sodann auf seinem Rohre,
Tutete auf seinem Horne,
Dreimal an dem Heimathberge,

160
Sechsmal an des Ganges Mündung.

     Ilmarinen’s Hausfrau aber
Sie, das alte Weib des Schmiedes,
Harrte auf die Milch schon lange,
Sehnte sich nach Sommerbutter;

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_206.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)