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Junge Mädchen, alte Weiber,

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Frauen von dem mittlern Alter,

Um die Harfe anzuschauen,
Um das Spielzeug zu betrachten.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Ließ die Jungen, ließ die Alten,
Ließ die Leute mittler Jahre
Mit den Fingern munter spielen
Auf dem Spielzeug aus der Gräte,
Auf der Harfe aus dem Fischbein.
     Spielten Junge, spielten Alte,

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Spielten Leute mittler Jahre;

Spielten Junge, Finger brachen,
Drehten Alte, Köpfe bebten,
Freude wollte nicht entstehen,
Frohes Spiel sich nicht erheben.
     Sprach der muntre Lemminkäinen:
„O ihr Kinder halber Einsicht,
Und ihr Mädchen stumpf von Sinnen,
Auch du andres Volk voll Jammer!
Nicht verstehet ihr zu spielen,

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Ordentlich nicht vorzutragen;

Gebet mir das schöne Spielzeug,
Traget her die hübsche Harfe,
Stellt sie her auf meine Kniee,
An die Spitzen meiner Finger!“
     Hat der muntre Lemminkäinen
In den Händen nun die Harfe,
Hat das Spielzeug vor sich stehen,
Hat es unter seinen Fingern;
Setzt zurecht darauf das Spielzeug,

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Wendet hin und her die Harfe,

Doch nicht tönen will das Spielzeug,
Will nicht Freude von sich geben.
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Nicht ist bei den jungen Leuten,
Nicht im Volk, das jetzo wächset,
Auch nicht bei den alten Leuten,
Wer auf diesem Spielzeug spielen,
Hierauf Freude wecken könnte;
Sollte Pohjola wohl besser

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Auf dem Spielzeug spielen können,

Auf demselben Freude wecken,
Wenn ich’s nach Pohjola brächte?“
     Bracht’ das Spielzeug nach Pohjola,
Bracht’ es hin nach Sariola;
Spielten Knaben in Pohjola,
Spielten Knaben, spielten Mädchen,
Spielten auch beweibte Männer,
Spielten Frauen, die verehlicht,
Spielte selbst die alte Wirthin,

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Dreht’ und wendete die Harfe,

Faßt’ sie fest mit ihren Fingern,
Hielt sie mit den Fingerspitzen.
     Spielten Knaben in Pohjola,
Spielten Leute jeder Gattung,
Nicht zu merken war dort Freude,
Keine Melodie im Spiele;
Ganz verdrehet sind die Saiten,
Elend wimmerten die Haare,
Hart nur waren ihre Töne,

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Gräulich war der Klang der Harfe.

     Schlief ein Blinder in dem Winkel,
Auf dem Ofen dieser Alte,
Wachte auf dort auf dem Ofen,
Fuhr empor von seiner Schlafstatt,
Knurrte so auf seinem Sitze,
Murmelte in seinem Winkel:
„Höret auf und laßt das Spielen,
Macht dem Lärmen ihr ein Ende!
Bläst mir Löcher in die Ohren,

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Sprenget mir den Kopf in Stücke,

Gehet mir durch alle Haare
Und entführt den Schlaf auf lange!“
     „Bringt des Suomi Volkes Harfe
Nicht zum Vorschein wahre Freude,
Führt sie nicht zu süßem Schlummer,
Nicht zu angenehmem Schlafe,
O, so werft sie in das Wasser,
Senkt sie in des Meeres Fluthen;
Oder traget sie zurücke,

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Bringt das Spielzeug wieder dorthin,

In die Hände, die sie schufen,
Zu den Fingern, die sie fügten!“

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_238.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)