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Siebenundvierzigste Rune.


     Wäinämoinen alt und wahrhaft
Spielte lange auf der Harfe,
Spielte lange, sang gar lange,
War auch sonst noch voller Freude.
     Zu des Mondes Stube drangen,
Zu der Sonne Fenster Töne,
Kam der Mond aus seiner Stube,
Schritt zum Stamme einer Birke,
Aus der Burg kommt auch die Sonne,

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Setzt sich in der Tanne Wipfel,

Um das Harfenspiel zu hören,
Um die Freude anzustaunen.
     Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,
Nordlands Alte, arm an Zähnen,
Nimmt daselbst die Sonn’ gefangen,
Greift den Mond mit ihren Händen,
Nimmt den Mond vom Stamm der Birke,
Aus der Tanne Kron’ die Sonne,
Führet sie sogleich nach Hause,

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Nach dem nimmerhellen Nordland.

     Birgt den Mond, daß er nicht scheine,
In den Fels mit bunter Rinde,
Bannt die Sonn’, daß sie nicht leuchte,
Zu dem stahlgefüllten Berge,
Redet selber diese Worte:
„Nimmer soll von hier in Freiheit,
Daß er scheint, der Mond gelangen,
Nicht die Sonne, daß sie leuchte,
Wenn ich selbst nicht lösen komme,

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Ich sie selber nicht befreie,

Neun der Hengste mich begleiten,
Die getragen eine Stute!“
     Als der Mond nun fortgeschaffet,
Als die Sonne war geborgen
In dem Steinberg von Pohjola,
In dem eisenfesten Felsen,
Raubet sie darauf die Flamme,
Aus Wäinölä’s Stub’ das Feuer,
Daß die Stube ohne Feuer,

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Ohne Licht die Häuser waren.

     Nacht war nun ohn’ Unterbrechung,
Dichte Finsterniß ohn’ Ende,
Dunkle Nacht in Kalewala,
In den Stuben von Wäinölä,
Aber auch im Himmel oben,
In dem Sitz von Ukko selber.
     Schwer war’s ohne Licht zu leben,
Gar beschwerlich ohne Feuer,
Langeweile hatten Menschen,

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Langeweile Ukko selber.

     Ukko nun, der Gott im Himmel,
Selbst der Lüfte großer Schöpfer,
Fing nun an sich zu verwundern,
Dachte nach und überlegte,
Welches Wunder vor dem Monde,
Auf der Sonne Bahn wohl wäre,
Daß der Mond nicht scheinen wollte,
Nicht das Sonnenlicht erstrahlen.
     Schritt dann auf dem Saum der Wolke,

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An dem Rande von dem Himmel,

In den blaugefärbten Strümpfen,
In den buntgeschmückten Schuhen,
Um das Mondlicht aufzusuchen,
Um die Sonne anzutreffen,
Konnte doch den Mond nicht finden,
Nicht die Sonne irgend treffen.
     Feuer schlug nun an der Alte,
Ließ die Flammen munter sprühen
Aus des Schwertes Feuerschneide,

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Aus der flammenreichen Klinge;

Schlug das Feuer in die Nägel,
Ließ es in die Glieder rauschen
In des Himmels oberm Raume,
Auf der Sternenhürde Ebne.
     Hat das Feuer angeschlagen,
Birgt darauf den Feuerfunken
In dem goldgeschmückten Beutel,
In der silberreichen Lade,
Giebt zum Wiegen es der Jungfrau,

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Giebt’s der Jungfrau in den Lüften,
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_274.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)