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Voltaire: Kandide. Erster Theil

auf unsre Kieselsteine und auf unsern Kot eine ganz ausserordentliche Begier haben, und im Stande wären, uns alle umzubringen, um nur des Bettels habhaft zu werden.

Ihre Unterredung dauerte lange. Sie betraf die Regierungsform, die Sitten, die Weiber, die öffentlichen Schauspiele, die Künste. Endlich ließ Kandide, dessen Stekkenpferd Metaphysik war, sich durch Kakambo’n erkundigen; ob sie hier zu Lande Religion hätten.

Und daran könt Ihr noch zweifeln? sagte der Greis, und eine feine Röte bezog seine Wange. So haltet Ihr uns für Undankbare? Kakambo fragte ganz demüthiglich, was sie für eine Religion hätten. Sollt’ es denn mehr geben können, als eine Religion? entgegnete der Greis, und seine Wange färbte sich von neuem. Ich denke, wir haben die Religion, welche die ganze Welt hat; wir beten Gott an vom Morgen bis zum Abend. Sie beten nur Einen Gott an? sagte Kakambo, dessen Amt es war, Kandide’s Zweifel zu verdolmetschen. Als wenn es deren zwei, drei oder viere gäbe! erwiederte der Alte. Warlich! Ihr Leute vom andern Welttheil fragt manchmal ganz sonderbar.

Kandide, des Erkundigens noch nicht überdrüssig, fragte durch sein Sprachrohr, wie ihre

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_100.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)