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Voltaire: Kandide. Erster Theil

Der Abee hörte aufmerksam zu und schien ein wenig staunend. Bald darauf nam er mit der zärtlichsten Umarmung von den beiden Fremden Abschied. Den folgenden Morgen erhielt Kandide einen Brief, folgendermaassen abgefasst:

„Mein Bester, seit acht Tagen lieg’ ich hier krank. Jezt eben vernem’ ich, daß Sie hier sind. Trügen mich meine Beine, so flög’ ich in Ihre Arme. Zu Bordeaux erfuhr ich, wohin Sie sich gewandt hätten; ich habe den treuen Kakambo und die Alte dort gelassen, die bald hier eintreffen müssen. Der Gouvernör von Buenosayres hat mir alles genommen, aber Ihr Herz bleibt mir noch übrig. Kommen Sie, Ihre Gegenwart schenkt mir entweder das Leben wieder, oder tödtet mich vor Vergnügen.“

Ihre Kunegunde

Dieser entzükkende, unverhofte Brief machte Kandiden ganz berauscht vor Freude, allein die Unbäslichkeit seiner Lieben schlug ihn äusserst nieder. Ein Raub dieser beiden Empfindungen nam er sein Gold und seine Diamanten, und lies sich samt Martinen in das Hotel führen, worin Barones Gundchen logierte.

Mit hochklopfendem Herzen, an jedem Gliede vor Vergnügen zitternd, und mit bebender Stimme, stürzt’ er in ihr Zimmer, wollte die Bettvorhänge aufreissen, wollte Licht haben. Um Gottes willen nicht! ’s is dem gnädigen Fräulein

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_143.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2019)