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Voltaire: Kandide. Erster Theil

begaben, beugten sie sich tief zur Erde vor dem Schattenspielmonarchen.

Sehn Sie, sagte Kandide unterwegs, da haben wir nun mit sechs abgesezten Königen gespeist, und unter diesen sechs Königen war noch dazu einer, dem ich einen Zehrpfennig gegeben habe. Vielleicht giebt’s noch weit mehr unglükliche Prinzen. Wie glüklich bin ich dagegen, ich habe ja nur hundert Hämmel eingebüsst, und fliege nun meiner Kunegund’ in die Arme. Ich versichre Ihnen nochmals, lieber Martin, Panglos hatte Recht: Es ist doch die beste Welt! Wollte Gott, seufzte Martin.

Allein, sagte Kandide, unser zu Venedig erlebtes Abenteuer hat wenig Wahrscheinliches. Hat man je gesehn, oder gehört, daß sechs entthronte Könige in Einem Wirtshause zusammen zur Nachtmisse[1] genommen haben?

Das schlägt grade nicht mehr aus dem gewöhnlichen Gleise, als die meisten Vorfälle, die uns begegnet sind, antwortete Martin. Daß Könige entthront werden, ist ein Erzwerkeltagsstükchen, und daß wir die Ehre gehabt haben, mit ihnen das Abendbrod zu nemen, nun warlich! das ist eine solche Lumperei, daß ich nicht begreife, wie ein Schüler vom grossen Panglos, ein

  1. Nachtmisse heist in Westphalen, das Abendbrod.
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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_179.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)