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120 Elementarl. II. Th. I. Abth. I.Buch. II. Hauptst. 120

gegeben wird, ist Erscheinung, welche, wenn sie mit Bewustseyn verbunden ist, Wahrnehmung heißt, (ohne das Verhältniß zu einem, wenigstens möglichen Bewustseyn, würde Erscheinung vor uns niemals ein Gegenstand der Erkentniß werden können, und also vor uns nichts seyn, und weil sie an sich selbst keine obiective Realität hat, und nur im Erkentnisse existirt, überall nichts seyn). Weil aber iede Erscheinung ein Mannigfaltiges enthält, mithin verschiedene Wahrnehmungen im Gemüthe an sich zerstreuet und einzeln angetroffen werden, so ist eine Verbindung derselben nöthig, welche sie in dem Sinne selbst nicht haben können. Es ist also in uns ein thätiges Vermögen der Synthesis dieses Mannigfaltigen, welches wir Einbildungskraft nennen, und deren unmittelbar an den Wahrnehmungen ausgeübte Handlung ich Apprehension nenne[1]). Die Einbildungskraft soll nemlich das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild bringen; vorher muß sie also die Eindrücke in ihre Thätigkeit aufnehmen, d. i. apprehendiren.

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  1. Daß die Einbildungskraft ein nothwendiges Ingredienz der Wahrnehmung selbst sey, daran hat wol noch kein Psychologe gedacht. Das komt daher, weil man dieses Vermögen theils nur auf Reproductionen einschränkte, theils, weil man glaubte, die Sinne lieferten uns nicht allein Eindrücke, sondern sezten solche auch so gar zusammen, und brächten Bilder der Gegenstände zuwege, wozu ohne Zweifel ausser der Empfänglichkeit der Eindrücke, noch etwas mehr, nemlich eine Function der Synthesis derselben erfordert wird.
Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_120.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)