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151 I. Absch. Vom obersten Grunds. analyt. Urtheile. 151

 Der Satz nun: Keinem Dinge komt ein Prädicat zu, welches ihm widerspricht, heißt der Satz des Widerspruchs, und ist ein allgemeines, obzwar blos negatives Criterium aller Wahrheit, gehört aber auch darum blos in die Logik, weil er von Erkentnissen, blos als Erkentnissen überhaupt, unangesehen ihres Inhalts gilt, und sagt: daß der Widerspruch sie gänzlich vernichte und aufhebe.

 Man kan aber doch von demselben auch einen positiven Gebrauch machen, d. i. nicht blos, um Falschheit und Irrthum (so fern er auf dem Widerspruch beruhet) zu verbannen, sondern auch Wahrheit zu erkennen. Denn, wenn das Urtheil analytisch ist, es mag nun verneinend oder beiahend seyn, so muß dessen Wahrheit iederzeit nach dem Satze des Widerspruchs hinreichend können erkant werden. Denn von dem, was in der Erkentniß des Obiects schon als Begriff liegt und gedacht wird, wird das Widerspiel iederzeit richtig verneinet, der Begriff selber aber nothwendig von ihm beiaht werden müssen, darum, weil das Gegentheil desselben dem Obiecte widersprechen würde.

 Daher müssen wir auch den Satz des Widerspruchs, als das allgemeine und völlig hinreichende Principium aller analytischen Erkentniß gelten lassen; aber weiter geht auch sein Ansehen und Brauchbarkeit nicht, als eines hinreichenden Criterium der Wahrheit. Denn daß ihm gar keine Erkentniß zuwider seyn könne, ohne sich selbst zu vernichten, das macht diesen Satz wol zur conditio

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_151.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)