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347 I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. 347

die die Bedingungen ausmachen, unter welchen wir sie allein denken. Nun kan ich von einem denkenden Wesen durch keine äussere Erfahrung, sondern blos durch das Selbstbewustsein die mindeste Vorstellung haben. Also sind dergleichen Gegenstände nichts weiter, als die Uebertragung dieses meines Bewustseyns auf andere Dinge, welche nur dadurch als denkende Wesen vorgestellet werden. Der Satz: Ich denke, wird aber hiebey nur problematisch genommen; nicht so fern er eine Wahrnehmung von einem Daseyn enthalten mag (das cartesianische cogito; ergo sum), sondern seiner bloßen Möglichkeit nach, um zu sehen, welche Eigenschaften aus diesem so einfachen Satze auf das Subiect desselben (es mag dergleichen nun existiren oder nicht) fliessen mögen.

 Läge unserer reinen Vernunfterkentniß von denkenden Wesen überhaupt mehr, als das cogito zum Grunde, würden wir die Beobachtungen, über das Spiel unserer Gedanken und die daraus zu schöpfende Naturgesetze des denkenden Selbst, auch zu Hülfe nehmen: so würde eine empirische Psychologie entspringen, welche eine Art der Physiologie des inneren Sinnes seyn würde und vielleicht die Erscheinungen desselben zu erklären, niemals aber dazu dienen könte, solche Eigenschaften, die gar nicht zur möglichen Erfahrung gehören (als die des Einfachen) zu eröfnen, noch von denkenden Wesen überhaupt etwas, das ihre Natur betrift, apodictisch zu lehren; sie wäre also keine rationale Psychologie.

Da
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_347.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)