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381 I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. 381
Betrachtung
über die Summe der reinen Seelenlehre,
zu Folge diesen Paralogismen.

 Wenn wir die Seelenlehre, als die Physiologie des inneren Sinnes, mit der Cörperlehre, als einer Physiologie der Gegenstände äusserer Sinne vergleichen: so finden wir, ausser dem, daß in beiden vieles empirisch erkant werden kan, doch diesen merkwürdigen Unterschied, daß in der lezteren Wissenschaft doch vieles a priori, aus dem blossen Begriffe eines ausgedehnten undurchdringlichen Wesens, in der ersteren aber, aus dem Begriffe eines denkenden Wesens, gar nichts a priori synthetisch erkant werden kan. Die Ursache ist diese. Obgleich beides Erscheinungen sind, so hat doch die Erscheinung vor dem äusseren Sinne etwas Stehendes, oder Bleibendes, welches ein, den wandelbaren Bestimmungen zum Grunde liegendes Substratum und mithin einen synthetischen Begriff, nemlich den vom Raume und einer Erscheinung in demselben, an die Hand giebt, anstatt daß die Zeit, welche die einzige Form unserer innern Anschauung ist, nichts Bleibendes hat, mithin nur den Wechsel der Bestimmungen, nicht aber den bestimbaren Gegenstand zu erkennen giebt. Denn, in dem was wir Seele nennen, ist alles im continuirlichen Flusse und nichts Bleibendes, ausser etwa (wenn man es durchaus will) das darum so einfache Ich, weil diese Vorstellung keinen Inhalt, mithin kein Mannigfaltiges hat, weswegen sie auch scheint ein einfaches

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_381.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)