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382 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. 382

Obiect vorzustellen, oder besser gesagt, zu bezeichnen. Dieses Ich müßte eine Anschauung seyn, welche, da sie beim Denken überhaupt (vor aller Erfahrung) vorausgesezt würde, als Anschauung a priori synthetische Sätze lieferte, wenn es möglich seyn sollte, eine reine Vernunfterkentniß von der Natur eines denkenden Wesens überhaupt zu Stande zu bringen. Allein dieses Ich ist so wenig Anschauung, als Begriff von irgend einem Gegenstande, sondern die blosse Form des Bewustseyns, welches beiderley Vorstellungen begleiten, und sie dadurch zu Erkentnissen erheben kan, so fern nemlich dazu noch irgend etwas anders in der Anschauung gegeben wird, welches zu einer Vorstellung von einem Gegenstande Stoff darreicht. Also fällt die ganze rationale Psychologie, als eine, alle Kräfte der menschlichen Vernunft übersteigende Wissenschaft, und es bleibt uns nichts übrig, als unsere Seele an dem Leitfaden der Erfahrung zu studiren und uns in den Schranken der Fragen zu halten, die nicht weiter gehen, als mögliche innere Erfahrung ihren Inhalt darlegen kan.

 Ob sie nun aber gleich als erweiternde Erkentniß keinen Nutzen hat, sondern als solche aus lauter Paralogismen zusammengesezt ist, so kan man ihr doch, wenn sie vor nichts mehr, als eine critische Behandlung unserer dialectischer Schlüsse und zwar der gemeinen und natürlichen Vernunft, gelten soll, einen wichtigen negativen Nutzen nicht absprechen.

Wozu
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_382.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)