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422 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. 422

an sich haben, daß er nicht eine willkührliche Frage betrift, die man nur in gewisser beliebiger Absicht aufwirft, sondern eine solche, auf die iede menschliche Vernunft in ihrem Fortgange nothwendig stossen muß, und zweitens: daß er, mit seinem Gegensatze, nicht blos einen gekünstelten Schein, der, wenn man ihn einsieht, sogleich verschwindet, sondern einen natürlichen und unvermeidlichen Schein bey sich führe, der selbst, wenn man nicht mehr durch ihn hintergangen wird, noch immer täuscht, obschon nicht betrügt, und also zwar unschädlich gemacht, aber niemals vertilgt werden kann.

 Eine solche dialectische Lehre wird sich nicht auf die Verstandeseinheit in Erfahrungsbegriffen, sondern auf die Vernunfteinheit in blossen Ideen beziehen, deren Bedingungen, da sie erstlich, als Synthesis nach Regeln, dem Verstande und doch zugleich, als absolute Einheit derselben, der Vernunft congruiren soll, wenn sie der Vernunfteinheit adäquat ist, vor den Verstand zu groß, und, wenn sie dem Verstande angemessen, vor die Vernunft zu klein seyn wird; woraus denn ein Widerstreit entspringen muß, der nicht vermieden werden kan, man mag es anfangen, wie man will.

 Diese vernünftelnde Behauptungen eröfnen also einen dialectischen Kampfplatz, wo ieder Theil die Oberhand behält, der die Erlaubniß hat, den Angriff zu thun, und derienige

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_422.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)