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473 III. Absch. Von dem Interesse der Vernunft etc. 473

Aber eben dieses ist sein Bewegungsgrund. Denn er befindet sich alsdann in einem Zustande, in welchem sich auch der Gelehrteste über ihn nichts herausnehmen kan. Wenn er wenig oder nichts davon versteht, so kan sich doch auch niemand rühmen, viel Mehr davon zu verstehen und, ob er gleich hierüber nicht so schulgerecht, als andere sprechen kan, so kan er doch darüber unendlich mehr vernünfteln, weil er unter lauter Ideen herumwandelt, über die man eben darum am beredtsten ist, weil man davon nichts weiß; anstatt, daß er über der Nachforschung der Natur ganz verstummen und seine Unwissenheit gestehen müßte. Gemächlichkeit und Eitelkeit also sind schon eine starke Empfehlung dieser Grundsätze. Ueberdem, ob es gleich einem Philosophen sehr schwer wird, etwas als Grundsatz anzunehmen, ohne deshalb sich selbst Rechenschaft geben zu können, noch weniger Begriffe, deren obiective Realität nicht eingesehen werden kan, einzuführen: so ist doch dem gemeinen Verstande nichts gewöhnlicher. Er will etwas haben, womit er zuversichtlich anfangen könne. Die Schwierigkeit, eine solche Voraussetzung selbst zu begreifen, beunruhigt ihn nicht, weil sie ihm, (der nicht weiß, was Begreiffen heißt,) niemals in den Sinn komt, und er hält das vor bekant, was ihm durch öfteren Gebrauch geläufig ist. Zulezt aber verschwindet alles speculative Interesse bey ihm vor dem practischen, und er bildet sich ein, das einzusehen und zu wissen, was anzunehmen oder zu glauben, ihn seine Besorgnisse oder Hoffnungen antreiben.

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Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_473.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)