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477 IV. Absch. Von der Auflösung aller Aufgaben etc. 477

Erscheinungen der Natur muß uns indessen vieles ungewiß und manche Frage unauflöslich bleiben, weil das, was wir von der Natur wissen, zu dem, was wir erklären sollen, bey weitem nicht in allen Fällen zureichend ist. Es frägt sich nun: ob in der Transscendentalphilosophie irgend eine Frage, die ein der Vernunft vorgelegtes Obiect betrift, durch eben diese reine Vernunft unbeantwortlich sey und ob man sich ihrer entscheidenden Beantwortung dadurch mit Recht entziehen könne, daß man es, als schlechthin ungewiß (aus allen dem, was wir erkennen können) demienigen beyzählt, wovon wir zwar so viel Begriff haben, um eine Frage aufzuwerfen, es uns aber gänzlich an Mitteln oder am Vermögen fehlt, sie iemals zu beantworten.

 Ich behaupte nun, daß die Transscendentalphilosophie unter allem speculativen Erkentniß dieses Eigenthümliche habe: daß gar keine Frage, welche einen der reinen Vernunft gegebenen Gegenstand betrift, vor eben dieselbe menschliche Vernunft unauflöslich sey und daß kein Vorschützen einer unvermeidlichen Unwissenheit und unergründlichen Tiefe der Aufgabe von der Verbindlichkeit frey sprechen könne, sie gründlich und vollständig zu beantworten; weil eben derselbe Begriff, der uns in den Stand sezt zu fragen, durchaus uns auch tüchtig machen muß, auf diese Frage zu antworten, indem der Gegenstand ausser dem Begriffe gar nicht angetroffen wird (wie bey Recht und Unrecht).

Es
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_477.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)