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550 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. 550

den Grund erforschen könten, so würde es keine einzige menschliche Handlung geben, die wir nicht mit Gewisheit vorhersagen und aus ihren vorhergehenden Bedingungen als nothwendig erkennen könten. In Ansehung dieses empirischen Characters giebt es also keine Freiheit und nach diesem können wir doch allein den Menschen betrachten, wenn wir lediglich beobachten und, wie es in der Anthropologie geschieht, von seinen Handlungen die bewegende Ursachen physiologisch erforschen wollen.

 Wenn wir aber eben dieselbe Handlungen in Beziehung auf die Vernunft erwägen und zwar nicht die speculative, um iene ihrem Ursprunge nach zu erklären, sondern ganz allein, so fern Vernunft die Ursache ist, sie selbst zu erzeugen, mit einem Worte, vergleichen wir sie mit dieser in practischer Absicht: so finden wir eine ganz andere Regel und Ordnung, als die Naturordnung ist. Denn da solte vielleicht alles das nicht geschehen seyn, was doch nach dem Naturlaufe geschehen ist und nach seinen empirischen Gründen unausbleiblich geschehen mußte. Bisweilen aber finden wir, oder glauben wenigstens zu finden: daß die Ideen der Vernunft wirklich Caussalität in Ansehung der Handlungen des Menschen, als Erscheinungen, bewiesen haben, und daß sie darum geschehen sind, nicht weil sie durch empirische Ursachen, nein, sondern weil sie durch Gründe der Vernunft bestimt waren.

Gesezt
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_550.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)