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570 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. 570

in seiner Art ganz vollständig ist, bedarf, um darnach den Grad und die Mängel des Unvollständigen zu schätzen und abzumessen. Das Ideal aber in einem Beispiele, d. i. in der Erscheinung, realisiren wollen, wie etwa den Weisen in einem Roman, ist unthunlich und hat überdem etwas widersinnisches und wenig erbauliches an sich, indem die natürliche Schranken, welche der Vollständigkeit in der Idee continuirlich Abbruch thun, alle Illusion in solchem Versuche unmöglich und dadurch das Gute, das in der Idee liegt, selbst verdächtig und einer blossen Erdichtung ähnlich machen.

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 So ist es mit dem Ideale der Vernunft bewandt, welches iederzeit auf bestimten Begriffen beruhen und zur Regel und Urbilde, es sey der Befolgung, oder Beurtheilung, dienen muß. Ganz anders verhält es sich mit denen Geschöpfen der Einbildungskraft, darüber sich niemand erklären und einen verständlichen Begriff geben kan, gleichsam Monogrammen, die nur einzelne, obzwar nach keiner angeblichen Regel bestimte Züge sind, welche mehr eine im Mittel verschiedener Erfahrungen gleichsam schwebende Zeichnung, als ein bestimtes Bild ausmachen, dergleichen Mahler und Physiognomen in ihrem Kopfe zu haben vorgeben und die ein nicht mitzutheilendes Schattenbild ihrer Producte oder auch Beurtheilungen seyn sollen. Sie können, obzwar nur uneigentlich, Ideale der Sinnlichkeit genant werden, weil sie das nicht erreichbare Muster möglicher empirischer Anschauungen seyn sollen und gleichwol

wol
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_570.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)